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Caritas Regional Portrait Genug zum Leben S Moser

Zwei- und achtjährig waren Sabine Mosers* Kinder, als ihr Mann starb. Mit Schulden, minimalem Einkommen und eisernem Willen hat sie die kleine Familie über die Runden gebracht. Mutterseelenallein. Dank Caritas kann sie nun wieder lachen.

Wer der quirligen Sabine Moser auf der Strasse begegnet, käme nie auf die Idee, dass sie zu den armutsbetroffenen Menschen gehört. Nach Abzug der Fixkosten wie Miete, Strom und Heizung bleiben ihr nur gerade 400 bis 500 Franken pro Monat. Kann sie damit leben? «Es geht. Wenn ich mal wieder nur Eier, Milch und Mehl vorrätig habe, mache ich mir einfach eine feine Omelette.» Arm sei sie trotzdem nicht, meint Sabine Moser energisch. «Ich bin gesund und kann arbeiten.»

Zudem sei sie überglücklich, weil sie dank der Hilfe von Caritas wieder essen und vor allem lachen könne. Warum das? Vor ein paar Jahren hatte Sabine Moser bei einem Velounfall fünf vordere Zähne verloren. Letztes Jahr hatten sich dann die Ersatzzähne so sehr gelockert, dass sie damit nicht mehr beissen konnte. Wie sollte sie neue Zähne bezahlen? Bei Caritas Thurgau fand sie Hilfe.

Die glücklichste Zeit ihres Lebens

Nach ihrer Lehre in einer Papeterie zog Sabine Moser mit 19 in die Schweiz. Sie fand eine Stelle im Service im Kinderparadies Herisau, wo sie bald ihren zukünftigen Mann Viktor* kennenlernte. Dass er Drogen nahm, merkte sie erst viel später. Verliebt wie sie war, hielt sie zu ihm. Die beiden heirateten im November 1989, vier Tage vor der Geburt ihrer Tochter Monika*.

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Sabine Moser erinnert sich gerne an diese Zeit. Ihr Mann war clean und die Arbeit als Autolackierer machte ihm Spass. Sie servierte in der Pizzeria ihrer Schwiegereltern. «Wir hatten eine tolle Wohnung und unsere Monika war unser Ein und Alles.» Doch das Glück hielt nicht an – Viktor wurde rückfällig. Drei Jahre später reichte Sabine Moser die Scheidung ein. Der Richter fragte, warum, wo sie sich doch so gut verstünden. Sabine liess sich überreden. Ihr Mann nahm nun Methadon. 1995 kam der kleine Andreas* zur Welt. Alles schien gut, bis ein Kollege in der Werkstatt begann, mit Heroin zu dealen. Viktor war wieder drin, brauchte immer mehr Geld und dann, am 18. Dezember 1997: der goldene Schuss. Viktor war tot, gestorben an zu reinem Heroin.

Der Absturz

Die Schwiegereltern gaben Sabine die Schuld und brachen jeden Kontakt zu ihr ab. Nun stand sie mit ihren zwei kleinen Kindern und einem Schuldenberg da. Die Witwen- und Waisenrenten reichten nicht zum Leben. Zum Sozialamt wollte sie auf keinen Fall und so begann sie, wieder im Service zu arbeiten. Doch die Belastung von Arbeit, Kindern, Haushalt und Geldproblemen war zu gross. Immer öfter griff Sabine Moser zum Glas, um wenigstens für kurze Zeit dem Stress zu entfliehen. «Schon bald hatte mich der Alkohol im Griff.» Nun distanzierten sich auch ihre Eltern und ihre vier Brüder von der kleinen Familie.

«Schon bald hatte mich der Alkohol im Griff.»

Wie sie in den folgenden Jahren den Spagat zwischen den täglichen Anforderungen und ihren Alkoholexzessen geschafft hat, weiss Sabine Moser nicht mehr. Nur so viel: «Mir war immer wichtig, dass es den Kindern gut ging. Dass sie zu essen hatten, pünktlich in der Schule waren und ihre Aufgaben machten. Zum Glück hatten sie gute Freunde, denn Ferien, coole Klamotten oder Spielsachen lagen nicht drin.»

Die schlimmsten Tage ihres Lebens

Die Kinder wurden grösser und störten sich immer mehr an ihrer Mutter. Aber auch Peter*, in den sie sich nach Jahren als Alleinerziehende verliebt hatte, stellte sie einen Tag vor ihrem 44. Geburtstag vor ein Ultimatum: «Entweder Alkohol oder ich.» Dann fuhr er für zehn Tage in die Ferien. Sabine Moser war am Boden zerstört. Sie trank sich vier Tage lang buchstäblich ins Koma. Danach war ihr nur noch schlecht. Als sie auch noch weisse Mäuse sah, war ihr klar: jetzt oder nie.

Sie ging zum Arzt, wo sie auf offene Ohren stiess. Da sie um keinen Preis in die Klinik wollte, gab es laut Arzt nur eines: vier Tage trocken bleiben, danach würde er ihr ein Medikament verschreiben. «Die schlimmsten Tage meines Lebens», erinnert sich Sabine Moser. Aber diesmal wollte sie es schaffen. Getreu ihrem Motto biss sie die Zähne zusammen und zog es durch.

«‹Du beisst die Zähne zusammen und ziehst das durch!› – mit diesem Motto schaffe ich alles.»

Weder ihre Kinder, damals 23 und 17, noch Peter glaubten daran. Es war ja nicht ihr erster Versuch.

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Sirup im Sektglas

Das war vor zwölf Jahren. Sabine Moser hat es geschafft und ist stolz darauf. Zu Recht. Ihren Geburtstag feiert sie seither mit einem Sirup im Sektglas: «So siehts schöner aus.» Die Beziehung zu Peter hat die Jahre nicht überdauert, aber zum fünften Jahrestag ihres Ausstiegs hat ihre Tochter sie mit einer Woche Ibiza überrascht. Ein grossartiges Erlebnis.

«Dass ich seit zwölf Jahren trocken bin, macht mich stolz.»

Ende gut, alles gut?

Leider nein. Sabine Mosers Kinder stehen inzwischen auf eigenen Füssen, doch sie sitzt noch immer auf einem Schuldenberg. Jeder Franken, den sie über das Existenzminimum hinaus verdient, geht direkt ans Betreibungsamt. Ihre Witwenrente bessert sie mit Putzen und Bügeln auf. «Ich mache das wirklich gern und habe sehr nette Kunden.» Dass sie damit nicht über den Berg kommt, bestätigt auch die Mitarbeiterin von Caritas.

400 bis 500 Franken pro Monat, reicht das?

«Klar muss ich sparen, aber es geht.» Die Möbel in ihrer hübschen Wohnung hat Sabine Moser aus dem Brockenhaus und selbst restauriert oder hat sie geschenkt bekommen. «Zum Glück bin ich kreativ und handwerklich geschickt.»

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Ihr Lieblingsmöbelstück ist ein Bastelschrank, den sie geschenkt bekommen hat. Hier bewahrt Sabine ihre Schätze auf.

Ihre Kleider kauft sie im Secondhand-Shop: «Da gibt es tolle Jeans für fünf Franken.» Bei Lebensmittel achtet sie auf den Aktionspreis und am Abend gibt es in der Migros Frisches zum halben Preis. Die Haare schneidet sie sich selbst, den Kaffee trinkt sie zu Hause und ihr Prepaidhandy braucht sie nur, wenn es nicht anders geht. Nur einmal musste sie ihren Notgroschen, den Beutel mit den Fünfrappenstücken, zur Bank bringen. Die 43 Franken reichten dann bis zum Monatsende.

Dank Caritas wieder lachen

Sabine Moser hat sich all die Jahre aus eigener Kraft über Wasser gehalten. Bis sie letztes Jahr ihre Vorderzähne verlor und nicht mehr beissen konnte. Verzweifelt meldete sie sich bei Caritas Thurgau. Die Sozialberaterin wusste Rat. Da Sabine eine Witwenrente erhält, hat sie Anspruch auf Ergänzungsleistungen für die Zahnsanierung. Und nach Rücksprache mit dem Vertrauensarzt konnte ihr die Beraterin im Rahmen der «Einzelfallhilfe» ergänzende Leistungen zusagen. Sabine Moser war überglücklich. Über die Zusage, aber auch über die freundliche und unkomplizierte Hilfe. «So etwas hatte ich seit Jahren nicht mehr erlebt.»

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Geld oder Freizeit?

Was, wenn sie vor der Wahl stünde, genügend Geld, aber weniger Zeit zu haben? «Endlich schuldenfrei zu sein, wäre wunderbar.» Aber obwohl Sabine Moser auf so vieles, etwa auf Ferien, eine Fahrt mit dem ÖV oder auch einen Sprachkurs, verzichten muss, glaubt sie nicht, dass sie mit mehr Geld zufriedener wäre. Sorgenfrei ja, aber glücklicher? Nur eines wäre schön: irgendwann wieder einen Partner an ihrer Seite zu wissen.

* Namen geändert

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