Armut in der Schweiz
Armut bleibt in der Schweiz oftmals verborgen, hat aber für Betroffene schwere Folgen: Soziale Kontakte und gesellschaftlicher Anschluss leiden, Perspektiven fehlen. Armut ist nicht naturgegeben, sondern entsteht aufgrund unserer politischen und gesellschaftlichen Strukturen. Wichtig ist, dass wir gemeinsam der wachsenden Ungleichheit entgegentreten. Eine Schweiz ohne Armut ist möglich.
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745’000
Menschen waren 2021 in der Schweiz armutsbetroffen.
134’000
Kinder litten 2021 in der Schweiz unter Armut.
1’300’000
Menschen galten 2021 als armutsgefährdet.
Arm in einem reichen Land
In Haiti bedeutet Armut, kein Dach über dem Kopf zu haben. In der Schweiz hingegen sind Menschen arm, deren Einkommen nicht für ihren Lebensunterhalt ausreicht, die sich weder Krankenkasse noch genügend Wohnraum leisten können oder für die ein Zahnarztbesuch unerschwinglich ist.
Wie viele Menschen leben in Armut?
Im Jahr 2021 waren in der Schweiz 745’000 Menschen armutsbetroffen. Unter ihnen sind überdurchschnittlich viele Alleinerziehende und Menschen mit geringer Ausbildung, die nach einem Stellenverlust keine neue Arbeit finden. 157’000 Männer und Frauen sind trotz Erwerbsarbeit arm – sie sind sogenannte Working Poor. Armutsbetroffen sind auch 134’000 Kinder.
Zählt man all jene Menschen dazu, die nur sehr knapp über der Armutsgrenze leben, ist die Zahl fast doppelt so hoch: 1,3 Millionen Menschen gelten als armutsgefährdet. Sie haben ein deutlich tieferes Einkommen als die Gesamtbevölkerung – nämlich weniger als 60 % des mittleren Einkommens. Unter ihnen sind überdurchschnittlich viele Familien mit drei und mehr Kindern. Armut ist in der Schweiz also kein Randphänomen.
Wie sieht das Haushaltsbudget am Existenzminimum aus?
Das Haushaltsbudget wird in der Sozialhilfe auf Basis der Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) für eine Person sowie für Eltern mit zwei Kindern berechnet (je nach Bedarf können individuell weitere Budgetposten berücksichtigt werden). Mit dem Betrag für den Grundbedarf werden neben Nahrung auch Kleidung, Körperpflege, Energieverbrauch, Ausgaben für Verkehr etc. bezahlt, also alle Dinge des täglichen Gebrauchs. Für Bildung, Medien, Vereinsbeiträge und Hobbys bleibt in der Regel kaum mehr etwas übrig. Darunter leiden vor allem soziale Kontakte.
Grundbedarf für den Lebensunterhalt nach SKOS:
CHF 1031.– (per Januar 2023)
+ tatsächliche Miete
+ Krankenversicherungsprämie
Grundbedarf für den Lebensunterhalt nach SKOS:
CHF 2206.– (per Januar 2023)
+ tatsächliche Miete
+ Krankenversicherungsprämie
Wann gilt jemand als armutsgefährdet?
Als armutsgefährdet werden Personen bezeichnet, die ein deutlich tieferes Einkommen als die Gesamtbevölkerung haben. Ihre Situation ist prekär, das heisst eine unerwartete Ausgabe von über 2000 Franken könnte die Person oder Familie nicht bewältigen und sie in Armutsbetroffenheit führen. Armutsgefährdete Personen riskieren, sozial ausgeschlossen zu leben, weil sie sich viele gemeinschaftliche Aktivitäten schlichtweg nicht leisten können.
Was sind die Ursachen von Armut?
- Unerwartete Lebensereignisse können zu Armut führen: z. B. der Verlust der Arbeitsstelle, die Flucht in ein anderes Land oder eine schwere Krankheit.
- Auch der Übergang in eine neue Lebensphase, wie eine Scheidung, kann der Beginn von Armutsbetroffenheit sein.
- Genauso sind aber Langzeitarbeitslosigkeit, ein Unfall oder die Geburt eines Kindes (schränkt die Berufstätigkeit oder Weiterbildungsmöglichkeiten der Eltern ein oder verunmöglicht sie) Armutsrisiken.
- Auch ein tiefes Bildungsniveau stellt ein Armutsrisiko dar: Für Personen mit geringer Bildung ist es schwieriger, sich weiterzubilden. Sie arbeiten daher häufiger in Tieflohnbranchen mit prekären Arbeitsverhältnissen (Vertragslosigkeit, befristete Arbeitseinsätze), was das Armutsrisiko erhöht.
Wer ist besonders armutsgefährdet?
Kinder aus armutsbetroffenen Familien haben ein erhöhtes Risiko, auch als Erwachsene armutsbetroffen zu sein. Weitere Risikogruppen sind Alleinerziehende, Unterhaltspflichtige, Familien mit drei und mehr Kindern, wenig qualifizierte Arbeitnehmende, Migrant*innen sowie Alleinstehende und Tieflohnbeziehende. Frauen sind zudem häufiger betroffen als Männer.
Armut ist ein strukturelles Problem. Sie ist meist das Resultat von Umständen, die Betroffene selbst kaum beeinflussen können.
Was bedeutet «Working Poor»?
Working Poor sind erwerbstätige Personen, die zwischen 20 und 59 Jahre alt sind und in einem Haushalt leben, der trotz Arbeitstätigkeit kein Einkommen über dem Existenzminimum zur Verfügung hat. In der Schweiz gibt es 157’000 Personen, die trotz Erwerbstätigkeit als arm gelten. 320’000 Personen leben in einem Working-Poor-Haushalt. Besonders betroffen sind Alleinstehende, Personen ohne nachobligatorische Ausbildung und nicht ganzjährig Erwerbstätige.
Tieflohnstellen sind etwa in der Reinigung, der Gastronomie oder in der Logistik anzutreffen. Nebst dem Lohn haben aber auch andere Faktoren, wie die Anzahl der Kinder oder der dadurch reduzierte Erwerbsumfang, Einfluss auf die finanziellen Verhältnisse. Die Corona-Pandemie hat die finanzielle Situation der Working Poor nochmals verschärft: Tieflohnjobs waren überdurchschnittlich oft von Kurzarbeit und Lohneinbussen betroffen.
Warum genügt für Armutsbetroffene das Netz unseres Sozialstaates nicht?
Die heutigen Sozialversicherungen decken verschiedene Armutsrisiken ab: Alter (AHV), Krankheit/Invalidität (IV) und Arbeitslosigkeit (ALV). Doch besonders die letzten beiden stehen unter grossem Spardruck: Leistungen werden abgebaut und Zugänge erschwert, was immer mehr Leute dazu drängt, Ergänzungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig werden Entlastungsmöglichkeiten wie die Prämienverbilligungen oder die Kleinkinderbetreuungsbeiträge zunehmend abgebaut.
Hinzu kommt, dass der grössere Teil der Menschen, die unter oder an der Armutsgrenze leben (15 %) keine Sozialhilfe empfangen, weil sie sich schämen oder mögliche Konsequenzen fürchten – wie zum Beispiel den Verlust ihres Aufenthaltsstatus. Caritas verpflichtet sich, den Menschen zur Seite zu stehen, die nicht durch das Netz unseres Sozialstaates aufgefangen werden. Unser Engagement ist subsidiär und füllt die Lücken für Armutsbetroffene, die vom Staat nicht ausreichend gefüllt werden.
Nicht alle können risikofrei Sozialhilfe beziehen
Familien mit vielen Kindern, Alleinerziehende und Erwerbstätige, die älter sind als 50, haben heute ein hohes Armutsrisiko. Die politischen Antworten darauf fehlen in der Schweiz noch weitgehend. Einige Kantone bieten Familienergänzungsleistungen, im Kanton Zürich wurde jedoch eine entsprechende Vorlage 2006 abgelehnt. Dies hat zur Folge, dass mehr Leute auf Sozialhilfe angewiesen sind und die Dauer des Sozialhilfebezugs zunimmt.
Das Anrecht auf Sozialhilfe wird zudem durch die Ausländergesetzgebung eingeschränkt, womit vielen Ausländer*innen die Sozialhilfe faktisch verwehrt bleibt. Beziehen sie Sozialhilfe, ist ihr Aufenthaltsstatus und somit ihr Leben in der Schweiz gefährdet. Aus Angst vor einer Wegweisung verzichten sie auf ihr Recht, Sozialhilfe zu beziehen, und leben häufig unter dem Existenzminimum.
Risiken für Armut in der Schweiz
Schlechtere Startbedingungen
Kinder müssen ausprobieren, entdecken und sich bewegen können. Bei benachteiligten Familien sind aber die Wohnungen oft viel zu eng, die Umgebung zu unsicher und den Eltern fehlen Zeit und Geld, um ihre Kinder angemessen zu begleiten. So haben diese bereits bei Kindergarteneintritt schlechtere Startchancen. Das hat schwerwiegende Folgen, weil mangelnde Bildung das Armutsrisiko markant erhöht. Wenn man als Kind bereits armutsbetroffen ist, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, auch als erwachsene Person darunter zu leiden.
Prekäre Arbeitsverhältnisse
Wer über keine anerkannte Ausbildung verfügt, hat geringere Chancen auf ein existenzsicherndes Einkommen und muss meist in prekären Jobs, zu einem tiefen Lohn und in niedrigen Pensen arbeiten. Dies reicht oftmals nicht, um sich selbst oder gar eine Familie zu ernähren, mindert die soziale Anerkennung und führt zu einer tiefen Rente im Alter. In vielen prekären Anstellungen, wie beispielsweise Arbeit im Stundenlohn, ist die soziale Absicherung mangelhaft. Eine Weiterbildung zur Erhöhung der Chancen auf eine gute Arbeitsstelle können sich nur die wenigsten leisten.
Gute Gesundheit ist teuer
Die Krankenkassenprämien steigen seit Jahren und sind für Haushalte mit tiefen Einkommen kaum mehr zu stemmen. Bereits der Selbstbehalt von 10 % übersteigt ihre finanziellen Möglichkeiten. So wählen viele Menschen eine hohe Franchise, um Prämien zu sparen. Mit fatalen Folgen: Sie verzichten auf notwendige Arztbesuche und Medikamente, weil sie die Kosten selbst bezahlen müssten. Oder sie verschulden sich. So häufen sich neben den gesundheitlichen oftmals auch die finanziellen Schwierigkeiten.
Armutsrisiko für Familien
Kinder sind für viele das Schönste der Welt. Doch leider auch häufig ein nicht zu unterschätzendes Armutsrisiko. Viele Eltern – vor allem Mütter – reduzieren das Erwerbspensum, weil Betreuungsangebote viel zu teuer sind oder, beispielsweise bei Schichtarbeit, keine zielführende Lösung bieten. Die Folge sind tiefere Einkommen, mit denen nun noch mehr Personen im Haushalt versorgt werden müssen. Dies kann im Alter zu geringeren Renten führen und das Risiko von Altersarmut erhöhen.