Lernangebote: Wo Bildung auf Menschlichkeit trifft
7. April 2025 | 6 min. Lesezeit

Draussen rauscht der Verkehr, drinnen feilen Kurt* und Sophia* in wertschätzender Atmosphäre an ihren eigenen Fertigkeiten. Schreiben verbessern, mit Handy und Computer klarkommen oder Bewerbungen schreiben – in der Lernstube Altstetten werden sie dabei unterstützt, ihre Lebenssituation durch Bildungsangebote positiv zu beeinflussen.
An der Hohlstrasse 500 in Zürich Altstetten rauscht ein Bus vorbei, der Regen nieselt auf den grauen Asphalt. Im Gegensatz dazu wird es auf einen Schlag warm und gemütlich für diejenigen, die den Weg in die Lernstube finden. Hier finden Bildungsangebote statt, die im Auftrag des Kantons Zürich von Caritas Zürich umgesetzt und vor Ort betreut werden.
Lerntreffs zu Computer und Handy, Lesen und Schreiben, eine Bewerbungsunterstützung und einen Schreibdienst, all das vereint die Lernstube unter einem Dach. Gemütliche Holztische laden zum Sitzen ein, Bürotische mit Computern sind zur Nutzung bereit und die Kaffeemaschine summt einladend.
Kurt* und Sophia* (Namen geändert) treffen sich hier nicht zum ersten Mal. Sie beide sind Mitglieder der Botschaftsgruppe, deren Ziel es ist, weitere Menschen zur Nutzung des Angebotes vor Ort zu ermuntern. «In unserem normalen Alltag hätten wir uns wohl nie kennengelernt», ist Sophia überzeugt. So unterschiedlich ihre Hintergründe sind, so divers sind auch die Unterstützungsangebote, die sie bis jetzt genutzt haben.
In der Lernstube kommen Wertschätzung und Lernen zusammen
«Ich war irgendwie auf der Suche», erinnert sich Kurt an den Moment, als er die Lernstube im Februar 2022 zum ersten Mal wahrgenommen hat. Im Grunde war es das gegenüberliegende Brockenhaus, das ihn damals an die Hohlstrasse führte. «Die Pandemie hinterliess auch bei mir ihre Spuren, ich hielt das Alleinsein in meinen eigenen vier Wänden nicht mehr aus. Ich hatte keine Erwartungen, als ich das Café in der Lernstube zum ersten Mal betrat, ich wollte einfach wieder einmal etwas Neues sehen und unter Leuten sein.»
Ich hätte nicht gedacht, dass mich die Arbeitslosigkeit einmal treffen würde.
Sophia dagegen besuchte das Angebot gleich zu Beginn im Winter 2024 mit einem ganz konkreten Ziel: der Bewerbungshilfe. «Eine Kollegin machte mich zuerst auf die Lernstube aufmerksam. Als ich bei einem Freiwilligeneinsatz der reformierten Kirche zudem den entsprechenden Flyer in den Händen hielt, gab ich mir einen Ruck und rief an.» Mit der Caritas-Mitarbeitenden am anderen Ende der Leitung nahm ihr Leben eine Wende und der erste Termin für die Überarbeitung ihrer Bewerbungsunterlagen war gesetzt.
Unterstützende Offenheit
Sophia arbeitete immer gern, ihre Berufslaufbahn führte sie vom Verlagswesen in die Betreuung von Schüler*innen einer Primarschule. Ihre offene Art im Umgang mit Menschen half ihr dabei, eine berufliche Identität zu finden. «Ich hätte nicht gedacht, dass mich die Arbeitslosigkeit einmal treffen würde», erklärt die 59-Jährige.

Ein schwerer persönlicher Verlust riss die Mauern ihres bis dahin stabilen Lebens ein. «Es brauchte Zeit, bis ich wieder bereit war, Neues aufzubauen. Dazu gehörte auch ein Umzug, der Distanz zu meiner Vergangenheit schaffte.» Sophia kündigte ihre Stelle, um am neuen Ort einen Neuanfang zu wagen. «Eine Arbeitsstelle war dabei für mich zentral. Ich unterschätzte jedoch das Vorhaben, mit fast 60 Jahren eine neue Stelle zu finden und rutschte in die Arbeitslosigkeit.»
Nach vielen Absagen schätzte sie die Bewerbungsunterstützung in der Lernstube umso mehr. «Die Offenheit mir und meiner Situation gegenüber war sehr wertvoll für mich», erinnert sich Sophia, «die wohlwollende Art der Beraterin hat sich positiv auf meinen Veränderungsprozess ausgewirkt.»
Neue Perspektiven
Auch Kurt fühlte sich in der Lernstube sofort willkommen. «Die Mitarbeitenden gingen von Anfang an sehr wertschätzend mit mir um», fasst der 55-Jährige zusammen. Eine Gegebenheit, die er nach seinen schlechten Erfahrungen mit Mitmenschen umso stärker schätzte. «Ich verlor in der Vergangenheit mein aufgebautes Fundament mit eigener Firma, Familienplanung und finanzieller Unabhängigkeit auf einen Schlag», erklärt er und schüttelt den Kopf.

Der Verlust seiner hoffnungsvollen Perspektive liess ihn in die Negativspirale einer Depression schlittern. «Ich rappelte mich immer wieder auf, stolperte aber auch immer wieder.»
In der Lernstube begann er, im Lerntreff «Lesen und Schreiben» seine Schreibweise für Briefe und Bewerbungen zu verbessern und mit der vorhandenen Infrastruktur von Drucker und Computer seine Pendenzen abzuarbeiten.
«Dieser Ort hilft mir, Ordnung in mein Leben zu bringen. Dass ich bei jedem Punkt, an dem ich anstehe, unmittelbar jemanden fragen kann, bringt mich weiter», sagt er und blickt sich um. Die Stimmung ist entspannt und arbeitsam: Es wird gelernt und gearbeitet.
Eigene Kompetenzen stärken
«Ich mag es, aktiv zu sein», erklärt Kurt, jahrelang war er im Verkauf tätig. «Mein Leben war eine Achterbahn, nun kommt die Entschleunigung.» Sich momentan nicht mehr im ersten Arbeitsmarkt durchschlagen zu müssen, trägt dazu bei.
Die Termine, die er mit Caritas-Mitarbeitenden der Lernstube oder für die Botschaftsgruppe vereinbart, geben seinem Alltag Struktur und damit Stabilität. «Sie helfen mir zudem, wieder mehr Vertrauen zu gewinnen und meine Sozialkompetenzen mit den Menschen zu festigen, die ich hier treffe.»
Aber nicht nur er selbst, sondern auch andere Besucher*innen profitieren von den Lernstuben-Angeboten und von seinem Erfahrungs- und Wissensrucksack. «Hier ist mein Know-how für andere wertvoll und ich helfe gern weiter», erklärt er und streicht sich die lockere Haarsträhne hinter das Ohr. Sich wieder kompetent zu fühlen und zu spüren, was er sich bereits in seinem Leben erarbeitet hat, hilft ihm, weiterzukommen.
Hier ist mein Know-how für andere wertvoll. Ich helfe gern weiter.
Weitergekommen ist auch Sophia, nach fünf Monaten war ihre Stellensuche erfolgreich. Sie strahlt, wenn sie von ihrer neuen Aufgabe spricht: Es ist eine Stelle als Klassenassistenz in einer Primarschule. Ein Beruf, der sie erfüllt. «Dass ich hier im Prozess der Suche begleitet wurde, hat mich immer wieder motiviert, weiterzumachen», erinnert sie sich. «So haben mich Absagen zwar frustriert, aber ich blieb dabei und gab nicht auf.»
Seit das Fundament ihres Lebens Risse bekommen hat, sind Unterstützungsangebote wie dasjenige der Lernstube in ihren Augen wichtiger gewonnen. «Unterstützung in Form von Bildungsangeboten könnte jeder und jede einmal brauchen. Man weiss nie, wie das Leben spielt.»
Hinter ihr sitzt Kurt am Bürotisch vor dem Computer und runzelt die Stirn, ganz zufrieden ist er noch nicht mit seiner Formulierung. Er sucht nach einer neuen Wohnung und feilt an einem Bewerbungsschreiben. Ob er damit erfolgreich sein wird, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Worauf er in jedem Fall zählen kann, ist die Unterstützung in der Lernstube.

Dieser Artikel erschien im «Caritas regional». Das Magazin der regionalen Caritas-Organisationen erscheint zweimal jährlich.
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