Familie
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Klaras Leben ist ein täglicher Balanceakt zwischen der Kinderbetreuung und der Erwerbstätigkeit. Aktuell kann sie leider ihren erlernten Beruf nicht ausüben. Doch sie gibt die Hoffnung nicht auf, finanziell wieder unabhängig zu werden.

Das Einkommen ist niedrig, das Armutsrisiko hoch: Klara F. (52) ist vor neun Jahren unerwartet schwanger geworden und alleinerziehend geblieben. Mit einem Studium in der Tasche arbeitet sie heute als Haushaltshilfe und ist von der Sozialhilfe abhängig. Sie hatte die letzten Jahre grosse Mühe, sich über Wasser zu halten – die Teuerung macht ihr das Leben nicht leichter. Sie beisst auf die Zähne und versucht sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen, wenn sie wie jeden Morgen ihre Kund*innen der Spitex zu Hause besucht. Flink wuselt sie mit dem Staubsauger durch die Wohnung, räumt den Geschirrspüler aus und schleppt Einkaufstaschen.

«Die Teuerung spüre ich momentan vor allem bei den Lebensmitteln.»

«Ich hatte kürzlich wegen meiner Arthrose eine Entzündung im Arm, die ihn fast lahmlegte – ich ging trotzdem zur Arbeit. Mein grösstes Problem ist nämlich nicht meine eigene Gesundheit, sondern die Kinderbetreuung ohne soziales Netz.» Nach zwei Stunden schwingt sie sich auf das Velo und eilt kreuz und quer in Basel zum nächsten Haushalt. Sie tritt fest in die Pedale, der frische Frühlingswind weht durch ihre langen Haare. Egal, ob es bergauf oder bergab geht – sie hat nur ein Ziel vor Augen: Ihre kleine Familie vor der Armut zu bewahren.


Alleinerziehende sind viermal häufiger von Armut betroffen

Klara ist kein Einzelfall. Obwohl viele Alleinerziehende einer Erwerbstätigkeit nachgehen, leben sie unter der Armutsgrenze. «Einelternfamilien sind Familien wie andere auch und sie haben ähnliche Herausforderungen zu bewältigen, wie die übrigen Familienhaushalte mit Kindern. Doch strukturelle Probleme treffen sie ungleich stärker, was die hohe Armutsquote erklärt», heisst es in einer Studie** der Universität Bern im Auftrag von Caritas Schweiz. Alleinerziehende seien mit einer Armutsquote von 16,5 Prozent ungefähr viermal stärker von Armut betroffen als Zweielternfamilien mit zwei Kindern. Davon wohnen etwa 86 Prozent der Kinder bei der Mutter. Es ist für viele eine Belastung, die Verantwortung für alles allein zu tragen und sich einzugestehen, Hilfe anzunehmen. Menschen an der Armutsgrenze trifft die Teuerung besonders hart. «Die Teuerung spüre ich momentan vor allem bei den Lebensmitteln. Ebenso ist mir der Energiezuschlag im Schwimmbad aufgefallen», sagt Klara zum Thema.

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Caritas lässt Menschen an der Armutsgrenze nicht alleine

Klara weiss sich zu helfen: Vergünstigte Lebensmittel holt sie im Caritas-Markt, der für Menschen mit knappem Budget ein gesundes und günstiges Angebot bereitstellt. Sie besitzt zudem die KulturLegi von Caritas, um günstiger an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen – meistens fehlt aber die Zeit oder die Kinderbetreuung dafür. Luis war drei Jahre lang Teil des Patenschaftsprojekts «mit mir». Regelmässig unternahm sein freiwilliger Pate Ausflüge mit ihm. Sie besuchten einen Klettergarten, spielten Lego oder Croquet im Park.

Sein Pate suchte nach seiner Pension eine sinnvolle Beschäftigung. «Meine Idee war, meinem Sohn eine männliche Bezugsperson zu geben und ich bin froh um die Entlastung», sagt Klara. Der Kontakt zum Paten besteht bis heute, auch wenn die Patenschaft von offizieller Seite beendet ist. Der nächste Besuch ist bereits geplant. Barbara Hellmüller, Leitung «mit mir»-Patenschaften bei Caritas beider Basel, erzählt: «Ich erlebe Klara F. als unkomplizierte und empathische Frau, die immer offen und dankbar für unsere Angebote ist.»

«Anfangs war es schwer für mich, Hilfe anzunehmen.»

Klara ist ein Mensch, der gerne hilft: «Es gibt ja Gebende und Nehmende, ich war schon immer eher die Gebende». Sie machte in jungen Jahren eine Ausbildung zur medizinischen Praxisassistentin in der Radiologie in Deutschland. Später holte sie die Matura nach und studierte Sozialpädagogik. Viele Jahre arbeitete sie in sozialen Einrichtungen wie in einem Kinderheim, in der Familienbegleitung und bei der Jugendförderung. Nachdem sie nach einer gutartigen Tumorerkrankung wieder auf den Beinen war, wagte sie einen Neustart in der Schweiz. Hier fand sie eine Stelle bei der Sozialhilfe. Sie machte Erstberechnungen von Bedürftigen und entschied, wer Sozialhilfe erhält und wer nicht. Heute steht die Sozialarbeiterin auf der anderen Seite: Ihre Nachfolgerin berechnet nun, ob und wie viel Sozialhilfe Klara erhält.

«Anfangs war es schwer für mich, Hilfe anzunehmen und mich überhaupt zu outen, dass ich auf Unterstützung angewiesen bin. Es nagte an mir, wenn ich alles abwog: Ich habe zwei Ausbildungen, studiert, immer viel gearbeitet und nun bin ich auf finanzielle Hilfe angewiesen.» Heute akzeptiert sie ihre Situation: «Ich weiss, es kann jeden und jede treffen. Ich versuche einfach zu überleben.»

Mit ihrem Sohn lebt sie heute in einer kleinen Wohnung in einem Block in Kleinbasel. Das Wohnzimmer ist liebevoll und bunt eingerichtet, an den Wänden hängen Fotos von Luis, daneben stehen die Familienregeln. Dazu zählen etwa: «Wir teilen unsere Sorgen», «wir hören einander zu» und «wir lachen gemeinsam und viel». Fotos vom Vater sucht man vergebens – einen Vater, der das Kind mitbetreut und mitbezahlt, gibt es nicht. Ihre Familie lebt in Deutschland. So fehlte das soziale Netz, als sie ihren Sohn gebar. «Ich geriet in den Teufelskreis von fehlender Kinderbetreuung, Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe», erzählt Klara. «Ich habe mein Kind früh in die Kita gebracht. Mein Sohn ist mein ein und alles. Es war nicht einfach, ihn als Baby abzugeben.» Ihr Sohn war oft krank und sie reduzierte das Pensum. Doch weniger als 70 Prozent war nicht möglich. Um sich um ihren Sohn zu kümmern, löste sie das Arbeitsverhältnis in beidseitigem Einverständnis auf, bezog Arbeitslosentaggelder und suchte eine neue Stelle mit mehr Flexibilität.

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«Dann bekam ich Krebs»

Es folgten schwierige Jahre. «Dann bekam ich Krebs. Momentan bin ich zum Glück geheilt. Doch währenddessen fragte ich mich, was denn mit meinem Sohn passieren würde, wenn ich nicht mehr hier wäre.» Auch Luis spürt die Existenzängste der Mutter: «Ich bekomme schon mit, dass wir nicht für alles Geld haben und Sozialhilfe beziehen», sagt er. Auch er leidet unter gesundheitlichen Problemen. «Man wird eben schneller krank, wenn man arm ist oder Stress hat. An allen Ecken gibt es Termine und Kosten, für die uns die Ressourcen fehlen», sagt die Mutter. Die Stellensuche gestaltet sich schwierig: Auch kurz vor der Bestrahlung nahm sie noch Vorstellungsgespräche wahr. «Als die Arbeitgeber vom Krebs hörten, kam es nicht zu einer Anstellung.

«Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben.»

Auch mit zunehmendem Alter wurde es immer schwieriger, eine Stelle zu finden.» Ausserdem bringt sie das Migrationsamt in Bedrängnis: Ihre Aufenthaltsbewilligung läuft bald ab und es ist ungewiss, ob sie in der Schweiz bleiben dürfen. Ein Lichtblick: Luis wird bald zehn und kann somit auch mal für kurze Zeit allein daheimbleiben. Klara wird weiterhin alles geben, um die Herausforderungen, vor die sie das Leben stellt, zu meistern: «Ich wünsche mir mehr Anerkennung für Alleinerziehende und familiengerechte Arbeitgeber*innen. Ich würde gerne eine Stelle als Sozialarbeiterin finden und so viel verdienen, dass ich unabhängig bin. Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben.»