Familie
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Die Erleichterung war gross: Nach über einem Jahr verzweifelter Suche hat Familie Esposito endlich eine neue Wohnung gefunden. Ein Zuhause mit einem verständnisvollen Vermieter und netten Nachbarn, wo die Kinder endlich Kinder sein dürfen.

Noch können Laura und Michele Esposito sowie ihre Kinder Chiara (18), Luca (12), und Giulia (5) – die in Wirklichkeit alle anders heissen – ihr neues Zuhause nicht ganz unbeschwert geniessen. Zu sehr sitzen ihnen die ständigen Reklamationen der lärmempfindlichen Nachbarn am letzten Wohnort im Nacken. Noch immer erschrickt Laura Esposito, wenn die Kinder draussen fröhlich spielen oder ihr Mann die Bohrmaschine in die Hand nimmt. «Wir müssen uns erst daran gewöhnen, dass wir hier wieder ganz normal leben dürfen.» Dass auch die älteste Tochter Tamara, die bereits in einer eigenen Wohnung lebt, wieder öfters zu Besuch kommt, freut die ganze Familie.

«Wir müssen uns erst daran gewöhnen, wieder ganz normal zu leben.»
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Kaum Luft zum Atmen

Angefangen hat die Leidensgeschichte beim Einzug in die vorherige Wohnung: «Wir hatten gerade mit dem Auspacken der Kisten begonnen, als sich die Nachbarn von oben über den Lärm beschwerten», erinnert sich Michele Esposito.

Dass dies nur der Beginn eines beinahe zwei Jahre dauernden Alptraums war, ahnte er damals noch nicht. Mal waren es die Kinder, mal der Fernseher, ein Telefongespräch auf dem Balkon, ja sogar die WC-Spülung in der Nacht. Die Familie konnte kaum einen Schritt machen, ohne dass von oben auf den Boden geklopft wurde oder die Nachbarn vor der Tür standen. «Klar, das Haus war ringhörig, wir bekamen ebenfalls vieles mit. Nur, für uns gehörte das halt dazu», ergänzt Laura Esposito.

«Dies war nur der Beginn eines zwei Jahre dauernden Alptraums.»

Die Familie passte sich an, wollte keinen Streit, auch wenn ihnen die ständigen Reklamationen beinahe die Luft zum Atmen nahmen. Chiara brachte keine Freundinnen mehr nach Hause. Luca traute sich kaum mehr, draussen zu spielen, und Laura ermahnte Giulia ständig, leise zu sein. Vergeblich, die Nachbarn schienen nur darauf zu warten, dass sie etwas hörten. Dass ihre Vorgänger aus dem gleichen Grund ausgezogen waren, erfuhr Familie Esposito erst später.


Es muss etwas geschehen

Schon bald nach dem Einzug suchten die Espositos eine neue Wohnung. Obwohl sie wussten, dass ihre Chancen – fünf Personen mit Hund und beschränktem Budget – im hart umkämpften Wohnungsmarkt gering waren. Zwar arbeitet Michele als Logistiker sechs Tage in der Woche und Laura erhält eine kleine IV-Rente mit Ergänzungsleistungen. Trotzdem frisst die Miete mehr als ein Drittel ihres Einkommens weg. Bezahlbarer Wohnraum ist rar und wenn etwas passen würde, werden Kleinfamilien oder Paare vorgezogen.

«Die Miete frisst mehr als ein Drittel des Einkommens weg.»

Während die Espositos Absage um Absage erhielten, spitzte sich der Terror zu Hause weiter zu. Etwa am Weihnachtsabend: Als sie, gemeinsam mit den Grosseltern, zu essen begonnen hatten, standen plötzlich zwei Polizeibeamte wegen angeblicher Ruhestörung vor der Tür. Da diese – wie es ihre Pflicht war – zuvor im Treppenhaus gelauscht und lediglich normale Gespräche festgestellt hatten, verabschiedeten sie sich rasch wieder. «Sie waren nett, aber der Schreck sass uns noch lange in den Gliedern», erinnert sich Laura Esposito.

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Es gäbe noch viel zu erzählen: Zu den Reklamationen kamen immer mehr verbale Beschimpfungen. Im Trocknungsraum verschwand erst der Waschküchenschlüssel, dann fehlte Unterwäsche. Damit nicht genug, von der Verwaltung flatterten Abmahnungen ins Haus, die Vorwürfe wurden nicht einmal hinterfragt. In ihrer Not wandte sich Laura Esposito an den von Caritas Aargau geführten Kirchlichen Regionalen Sozialdienst Wohlen und Umgebung (KRSD). Der KRSD war Frau Esposito bereits aus früheren Zeiten bekannt. Damals hatte sie gemeinsam mit ihnen den Antrag auf Ergänzungsleistungen gestellt sowie auch Unterstützung bei der Beanspruchung der Kinderzulagen von ihrem Ex-Mann erhalten.

Auch diesmal stiess Frau Esposito beim KRSD auf offene Ohren. Mit Hilfe der Beratungsperson fasste sie die Vorkommnisse zusammen und sandte die Zusammenstellung an die Verwaltung. Reaktion? Keine! Bald darauf folgte jedoch die Aufforderung, der Hund müsse innert zwei Wochen weg, da er ständig belle. Auch das war frei erfunden. Am Ende ihrer Kräfte, vermochte sich die Familie nicht zu wehren. Ein Glück, dass Laura auf ihren Spaziergängen eine Frau kennengelernt hatte, die den liebenswürdigen Vierbeiner noch so gerne übernahm.

Caritas-Story_Tancredi_Beratung

Plötzlich ging alles ganz schnell

Nach rund einem Jahr verzweifelter Suche mit Besichtigungen, Kontaktieren von Freunden und Verwandten hatten die Espositos ihre Hoffnung auf eine neue Wohnung beinahe aufgegeben. «Zum Glück habe ich beim KRSD jederzeit kompetente fachliche und seelische Unterstützung erhalten», erklärt Laura Esposito. «Das hat mir die Kraft gegeben, dranzubleiben.»

«Die kompetente Unterstützung beim KRSD hat mir Kraft gegeben dranzubleiben.»

Wie durch ein Wunder ging es plötzlich ganz schnell, als Michele auf ein Inserat für eine 5½-Zimmer-Wohnung mit Garten in einem Nachbarort stiess: «Eine so grosse und sogar bezahlbare Wohnung, darauf haben wir gewartet!» Schon früh stand die Familie am Besichtigungstermin vor dem Haus – gemeinsam mit rund 40 anderen Interessenten. Einmal mehr! Doch das war ihre Traumwohnung. Endlich würde auch Giulia ein eigenes Zimmer erhalten. Und der Garten – die Eltern sahen bereits die Kinder darin spielen und sich selbst Basilikum, Tomaten und anderes pflanzen. Das muss sie sein! Sie warteten bis alle Interessenten gegangen waren, nahmen allen Mut zusammen und legten den Vormietern ihre Situation offen und ehrlich auf den Tisch. Diese versprachen, sich für sie einzusetzen, und noch vor Ort füllten die Espositos das Anmeldeformular aus. Nach einer endlos scheinenden Woche endlich der erlösende Anruf. «Es war wie ein Sechser im Lotto! Wir erhielten die Wohnung und konnten bereits einen Monat später einziehen», freut sich Michele Esposito.

«Wir wollten unser Glück nicht aufs Spiel setzen.»

Nun galt es zu handeln: Die bisherige Wohnung musste gekündigt, ein Nachmieter gefunden werden – eine Doppelmiete hätte sich die fünfköpfige Familie nicht leisten können. Vor dem Umzug musste die neue Wohnung gestrichen und einiges verbessert und repariert werden. «Wir wollten unser Glück nicht aufs Spiel setzen und hätten uns nicht getraut zu fordern, dass die Mängel in Ordnung gebracht werden müssen.» Zum Glück liess ihnen der Vermieter freie Hand, das zu renovieren, was ihnen notwendig erschien. Dass die fünfjährige Giulia während dieser Zeit in die Ferien zu den Grosseltern in Italien fahren durfte, gab den Eltern etwas mehr Luft für all die Arbeiten.

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Ende gut, alles gut?

Ja und nein. Ein Nachmieter konnte zwar gefunden werden, aber erst ab dem folgenden Monat. Dank der Vermittlung ihrer Ansprechperson beim KRSD übernahm die Stiftung «Schwiizer hälfed Schwiizer» die Kosten für die einmonatige Doppelmiete. «Aufgrund der laufenden Teuerung werden Stiftungen mit Gesuchen regelrecht überrannt. Umso wichtiger ist es, den Stiftungen mit Belegen und Finanzplänen schlüssig aufzuzeigen, dass es sich beim Gesuch um eine einmalige und nachhaltige Hilfe handelt», sagt Anita Noll, Leiterin des KRSD Wohlen und Umgebung.

«Der Umzug hat uns an den Rand des Ruins gebracht.»

Durch die gesprochene finanzielle Unterstützung konnten die Espositos schuldenfrei in die neue Wohnung ziehen. «Dafür sind wir unendlich dankbar», sagt Laura Esposito. «Trotzdem haben uns die Kosten für den Umzug an den Rand des Ruins gebracht.» Deshalb muss die Familie noch eine ganze Weile jeden Franken drei- statt nur zweimal umdrehen. «Doch wir sind glücklich und dankbar, endlich in einem schönen Zuhause mit einem verständnisvollen Vermieter und netten Nachbarn zu leben.» Luca hat bereits neue Freunde gefunden und Giulia freut sich, dass sie nach den Sommerferien in den Kindergarten darf.