Soziale & Rechtliche Unterstützung

Wenn sich Rechnungen türmen und das Geld fehlt, ist neben der finanziellen auch die emotionale Not gross. Wie schnell sich Schulden anhäufen und wie schwierig es ist, den Kreislauf zu durchbrechen: Caritas-Schuldenberater Lorenz Bertsch über Schicksale und Neuanfänge.

Der lachende Gartenzwerg mit der Schubkarre weist den Weg. Einmal ums Eck des Hauses, vor dem er steht, und schon zeigt sich das kleine, ebenerdige Gebäude, mitten im Sarganser Wohnquartier. Früher habe es einen Kindergarten beherbergt, sagt Lorenz Bertsch, und zeigt auf die tiefliegenden Garderobenhaken, als er hineinführt.

Bertsch ist Sozial- und Schuldenberater bei Caritas St. Gallen-Appenzell und Leiter der Regionalstelle Sargans. Hier berät er Menschen in sozialen und finanziellen Notlagen. Letzteres öfters: «Von zehn Anrufen geht es bei acht um Schulden.»
 

 «Wer früh in die Beratung kommt, kann oft Schlimmeres verhindern.»

Lorenz Bertsch, Sozial- und Schuldenberater bei Caritas St. Gallen-Appenzell und Leiter der Regionalstelle Sargans.

Eine Wandtafel steht im Beratungsraum. Eine Figur, mit bunter Kreide gemalt, ist darauf zu sehen. Das Kind einer Klientin habe sie gezeichnet. Ob Menschen sich überwinden müssen, her zu kommen? Das glaubt Bertsch nicht. Scham, ja, die spüre er hie und da. «Aber ich frage dann immer: Warum schämen Sie sich? Es kann jede und jeden treffen.» 

Die Ursachen für Schulden sind oft die gleichen

250 Schuldenberatungen führt allein Caritas St. Gallen-Appenzell jährlich durch und fast immer sei einer von vier Gründen im Spiel:

  • Arbeitslosigkeit
  • Scheidung
  • Krankheit oder Unfall
  • Fehlende finanzielle Kompetenz (besonders bei jungen Erwachsenen)

Lorenz Bertsch ergänzt: «War vorher schon wenig da, braucht es dann nicht mehr viel.»

Bei Thomas Eugster* zum Beispiel führte ein Jobverlust in die Abwärtsspirale. Eugster heisst eigentlich anders und es ist Bertsch, der seine Geschichte schildert. Zu ungern sprächen Betroffene über ihr Schicksal, wenn es nicht sein müsse. Eugster also, 55-jährig, blieben noch dreissig Taggelder, als er die Schuldenberatung aufsuchte. Eineinhalb Monate und er wäre ausgesteuert und auf Sozialhilfe angewiesen.

Seinen Job im Baugewerbe hatte er wegen einer Reorganisation verloren. 300 Bewerbungen hatte er seither verschickt – erfolglos! Seit fast zwei Jahren musste er mit nur 70 Prozent seines früheren Lohns auskommen.

«Anfangs konnte er sich durchhangeln.» Doch bald blieben Rechnungen unbezahlt, flatterten Betreibungen in den Briefkasten. Oft sei auch Unwissenheit ein Faktor, schiebt Bertsch ein.

Viele, auch Eugster, wüssten nicht, dass sie Krankenkassenkosten beim Betreibungsamt zurückfordern könnten – und häuften so noch vermeidbare Schulden an. Bei Eugster waren es mittlerweile 23'000 Franken, hauptsächlich bei Steueramt und Krankenkasse.

Last kann erdrückend sein

«Er war verzweifelt, sagte, er fühle sich wertlos», so Bertsch. «Selbst seine Freunde hätten sich abgewendet.» Dies sei oft der Fall. Die Last der Betroffenen sei erdrückend, mache sie müde, und raube ihnen doch nachts den Schlaf. «Hast du dann keinen zum Reden, wirst du krank.»

Ich fühle mich wertlos und allein. Selbst meine Freunde haben sich von mir abgewendet.

Thomas Eugster*

Bertsch versucht, zu helfen, wo es geht. Nennt Vereine, die keine Mitgliederbeiträge erheben, sorgt dafür, dass Betroffene eine KulturLegi erhalten, mit der es Rabatte auf verschiedenste Angebote gibt. Vor allem aber versucht er, Perspektiven aufzuzeigen.

Nicht immer sind sie rosig. Für eine Schuldensanierung etwa, die auf Teilverzichten von Gläubigern fusst, war bei Eugster schlicht zu wenig Geld da. Auch ein Privatkonkurs wäre nur mit einer Anstellung in Frage gekommen. Eine solche fand er nicht mehr.

Heute lebt er von Sozialhilfe. Liegt seine Rente nach der Pensionierung über dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum (BEX), könnten Gläubiger ihn erneut betreiben. «So bliebe er ewig im Schuldenkreislauf gefangen.» Eine Tragik, die sich laut Bertsch mit einer Restschuldbefreiung verhindern liesse, wie sie im Parlament diskutiert werde (lesen Sie hierzu den Artikel «Es gibt Auswege aus der Schuldenspirale»).

Neuanfänge sind möglich

Manchmal aber sind Neuanfänge möglich. Der Schuldenberater erinnert sich an Nadine Frei*. Sie kam auf Anraten ihrer psychiatrischen Tagesklinik. Seit der Kindheit hatte die 29-Jährige psychische Probleme. Eine Berufslehre musste sie abbrechen. Jahre folgten, in denen sich Hilfsjobs, Arbeitslosigkeit und Klinikaufenthalte abwechselten. Ihr Krankentaggeld: prekär. Elterliche Unterstützung: inexistent. Irgendwann konnte sie die Steuerrechnung nicht mehr stemmen. Und während sie um ihr psychisches Wohl kämpfte, wuchs ihr Schuldenberg auf 35'000 Franken.

«Sie wollte gesund werden», so Bertsch. «Doch machten die Schulden sie fast noch kränker, wie sie sagte. Da arbeitest du Kindheits-Traumata auf, kommst aus der Klinik und es warten nur Briefe von Gläubigern und vom Betreibungsamt.»

Ich will gesund werden, aber die Schulden machen mich fast noch kränker.

Nadine Frei*

Doch Frei blieb stabil – und fand einen Job. So werden nun monatlich 1'300 Franken ihres Lohns gepfändet. Gut zwei Jahre und ihre Schuld könnte abbezahlt sein.

Wären da nicht die Steuern. Sie sind im BEX nicht eingerechnet. Daher verschulde man sich laufend neu, was den Prozess auf Jahre verlängere. Bertsch erstellt für Klient*innen deshalb oft einen Plan mit Zeitlinie, ein Bild also, das hilft, das Ziel im Blick zu behalten.

Erstreckt sich dieses aber über zwölf, dreizehn Jahre – was keine Seltenheit sei –, könne einen das kaputt machen. Bei Nadine Frei dürften vier Jahre reichen. Gelinge es ihr, in dieser Zeit «nur» Steuerschulden zu machen, habe sie gute Chancen, den Kreislauf zu durchbrechen.

13 Franken für eine Woche

Hin und wieder erlebt der Schuldenberater auch Geschichten, in denen es gut kommt, bevor es schlechter wird. Als Isabelle Baumann* ihn aufsuchte, war sie noch nicht verschuldet. Sie und ihr Mann Marco* kamen mit ihren beiden kleinen Kindern knapp über die Runden.

Aber Marcos Lohn, 3'500 Franken für Vollzeit in Schicht, stagnierte seit Jahren, während Lebensmittel, Benzin und Miete laufend teurer geworden waren. «Im Vergleich zu vor ein paar Jahren haben Baumanns bis zu 500 Franken Mehrkosten monatlich.»

«Viele Familien müssen sich dann, wie die Baumanns, überlegen, ob sie Rechnungen oder Lebensmittel bezahlen sollen», sagt Bertsch. Einmal sei eine Mutter den Tränen nah gewesen, weil ihr noch 13 Franken für das Essen einer Woche blieben – und ihr Kind ein Geschenk für eine Geburtstagseinladung brauchte.

Früh reagieren lohnt sich

Baumanns hatten gespart, wo es ging. Eine längst fällige Zahnbehandlung verschob Isabelle laufend auf später. Als nun noch eine vierstellige Nebenkostenabrechnung auf dem Tisch landete, war sie verzweifelt und suchte die Schuldenberatung auf. Hier fand sie Unterstützung in Form einer Überbrückungshilfe.

«Mit 13 Franken muss ich Lebensmittel für die ganze Familie kaufen, für eine Woche. Ich möchte weinen.»

Eine Mutter

Eine solche kann unter bestimmten Bedingungen gesprochen werden und deckte im Fall der Familie Baumann Zahnbehandlung und Nebenkostenabrechnung ab. Zudem erhielt Isabelle die Chance, sich weiterzubilden. Heute arbeitet sie 20 Prozent als Hilfspflegerin, während Marco in Schichtpausen die Kinder betreut.

«Wer früh zu uns kommt, kann oft Schlimmeres verhindern», so Bertsch. Leider kämen viele erst, wenn schon Schulden bestünden. Braucht es also doch Überwindung? Ist es die Scham, die einen abhält, Hilfe zu suchen? Er glaube eher, dass viele überzeugt seien, es selbst zu schaffen. «Es dauert zwei, drei Jahre, bis das Kartenhaus zusammenfällt und sie merken: Allein komme ich da nicht raus.»

«Es dauert zwei, drei Jahre, bis das Kartenhaus zusammenfällt und man merkt: Allein komme ich nicht aus den Schulden.»

Lorenz Bertsch

Einfach ist der Weg hinaus auch mit Beratung nicht. Von 100 Klient*innen, schätzt Bertsch, schaffen je fünf den Ausstieg über Schuldensanierung oder Konkurs. Bei den restlichen 90 gehe es darum, so wenig neue Schulden wie möglich zu machen. Und einem Drittel davon gelinge das Abzahlen über Jahre.

Nein, einfach ist es nicht. Aber manchmal beginnt er hier, der Weg aus den Schulden, im kleinen Gebäude des früheren Kindergartens, hinter dem lachenden Gartenzwerg.

*Namen geändert

Dieser Artikel erschien im «Caritas regional». Das Magazin der regionalen Caritas-Organisationen erscheint zweimal jährlich.

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