Kredite um jeden Preis?
6. Oktober 2025 | 4 min. Lesezeit

In einer finanziellen Notlage scheinen Konsumkredite die Rettung zu sein. Doch oft verschlimmern sie die Lage eher, als dass sie die Situation der Betroffenen verbessern. Die Rechtsanwältin Rausan Noori im Gespräch über Missstände im Kreditwesen.
Caritas: Wie hat sich das Kreditwesen während Ihrer Tätigkeit als Anwältin entwickelt?
Rausan Noori: Ich praktiziere seit mehr als 10 Jahren in diesem Bereich und in dieser Zeit sind die Gesetzesverletzungen raffinierter geworden. Früher fand ich auf Lohnabrechnungen, die den Kreditgeber*innen vorlagen, zum Beispiel öfters Familienzulagen, ohne dass in den Kreditbudgets Ausgaben für Kinder berücksichtigt wurden. Heute sind die Budgetfehler versteckter.
Welche Tricks oder zweifelhaften Methoden beobachten Sie am häufigsten bei bestimmten Kreditbanken?
Die perfideste Geschäftspraxis der Kreditbanken ist es, den Konsument*innen bei der Budgetprüfung keine Fragen zu offensichtlichen Ausgaben zu stellen und diese Ausgaben dann auch nicht zu berücksichtigen. So werden zu hohe Kredite vergeben, die Überschuldung verursachen oder verschlimmern.
Gibt es in der Schweiz gesetzliche Lücken oder Grauzonen, die Kreditbanken ausnutzen – und wenn ja, welche?
Ja, die Tatsache, dass die grossflächige Kreditvergabe nicht direkt durch eine Behörde beaufsichtigt wird und sich die Konsument*innen auch bei weit verbreiteten gesetzeswidrigen Geschäftspraktiken individuell vor den Zivilgerichten dagegen wehren müssen, spielt den Kreditbanken in die Hände. Gerichte sind dadurch auch nicht regelmässig mit solchen Fällen konfrontiert, haben keine praktischen Erfahrungen damit und reagieren häufig unvorbereitet. So kann es passieren, dass auch die Gerichte auf Vergleiche drängen, um Urteile zu vermeiden.
Wie gehen Banken typischerweise vor, wenn Schuldner*innen in Zahlungsverzug geraten, und wo beginnt aus Ihrer Sicht die Grenze zur Rechtswidrigkeit?
In diesem Fall reduzieren die Banken meistens die Raten. Dadurch zahlen Schuldner*innen manchmal jahrelang nur Zinsen, wobei der offene Saldo gleichbleibt. In solchen Fällen bewegen sich die Kreditgeber*innen aus meiner Sicht in einem Graubereich, denn es kann rechtsmissbräuchlich sein, mit der Betreibung zu warten, um Zinsen anzuhäufen.
Weshalb lohnt es sich für Banken überhaupt, Kredite an nicht kreditwürdige Personen zu geben, die diese unter Umständen gar nicht zurückzahlen können?
Weil es in der Schweiz ein sehr wirksames Zwangsvollstreckungssystem gibt, sowie eine starke Zahlungsmoral, die auch mit dem schweizerischen Wert der Eigenverantwortung verbunden ist. Auf der einen Seite gibt es keine (gerichtliche oder andersartige) Vorprüfung der in Betreibung gesetzten Forderungen. Auf der anderen Seite haben die Lohnpfändung direkt beim Arbeitgeber eine abschreckende Wirkung. Sie gehen zudem mit einem sehr niedrigen Existenzminimum einher. Bei Migrant*innen kommt noch dazu, dass sie bei Schulden Probleme bei der Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligungen bekommen. Das System stellt für Gläubiger also sehr wirksame Instrumente zur Verfügung.
Was können Sie als Anwältin konkret bewirken?
Als Anwältin kann ich leider auch nur in Einzelfällen etwas bewirken. Oft sind mir die Hände gebunden, denn ich handle im Interesse einzelner Mandant*innen, die meist verständlicherweise eigennützige Interesse haben. So lenken die meisten Mandant*innen bei guten Vorschlägen ein und stimmen Vergleichen zu. Manchmal bin ich auch diejenige, die empfiehlt zu vergleichen, wenn eine Person zu fragil für ein Verfahren ist oder die Beweislage nicht stark genug ist.
Wenn Sie einen Wunsch an die Gesetzgebenden frei hätten – welche Änderung im Kreditrecht würden Sie sofort umsetzen lassen?
Ich plädiere seit Jahren für eine Aufsicht der FINMA in diesem Bereich. Auch eine Dokumentationspflicht, die es aktuell nicht gibt, würde die Qualität der schweizerischen Kreditvergabe erhöhen und so die Überschuldung reduzieren. Aktuell gibt es eine Motion in diese Richtung im Parlament.
Gibt es eine generelle Empfehlung im Zusammenhang mit Finanzen, die Sie unseren Lesenden mitgeben können?
Nehmen Sie keine Kredite auf und bevorzugen Sie eine Prepaid-Card gegenüber einer Kreditkarte. Tun Sie alles dafür, dass ich irgendwann arbeitslos werde!

Zur Person:
lic. iur. Rausan Noori vertritt als Rechtsanwältin überschuldete Klient*innen in Verfahren gegen Kreditbanken, die mit zweifelhaften Praktiken die Überschuldung ihrer Kundschaft fördern. Sie ist Mitherausgeberin eines Handbuchs, das interessierten Fachpersonen die Überprüfung einer Kreditfähigkeitsprüfung ermöglicht.

Dieser Artikel erschien im «Caritas regional». Das Magazin der regionalen Caritas-Organisationen erscheint zweimal jährlich.
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