Integration

Migrantinnen ohne Deutschkenntnisse mit Kindern sind besonders armutsgefährdet. Die Alphabetisierungs- und Deutschkurse von Caritas Zentralschweiz sind speziell auf die Bedürfnisse dieser Frauen zugeschnitten. Seit Zahra Hossini* diesen Kurs besucht, hat sich der Alltag in der Schweiz für sie und ihre Familie verändert.

«Meine Mutter fährt jetzt allein mit dem Bus, denn sie kann auf der Tafel die Abfahrtszeiten lesen. Sie kann auch allein einkaufen gehen, weil sie jetzt selbst die Früchte wägen kann», sagt die 22-jährige Maryani Hossini*, deren Muttersprache Dari ist. Für die Familie Hossini aus Afghanistan hat sich der Alltag in der Schweiz erleichtert, seit die Mutter Zahra Hossini die Alphabetisierungs- und Deutschkurse von Caritas Zentralschweiz besucht. Die Kurse sind speziell auf die Bedürfnisse von Frauen mit Einwanderungsgeschichte zugeschnitten. Sie bleiben aus kulturellen oder familiären Gründen oft zu Hause oder haben weniger interkulturelle soziale Kontakte. Ein Grossteil der Frauen kommt aus Afghanistan, Syrien, Eritrea und Somalia. Für Kursleiterin Esther Föcker ist klar: «Das Erlernen der Landessprache hat hohe Priorität für die berufliche und soziale Integration und um das Armutsrisiko zu minimieren.» Die Kurse finden an zwei Halbtagen unter der Woche statt, nehmen Rücksicht auf Schulferien, und im Raum nebenan werden die Kinder der Teilnehmerinnen betreut.

Armut ist nicht nur weiblich

«Armut ist nicht nur weiblich, sondern hat oft auch einen Migrationshintergrund und Kinder», sagt Dr. Prof. Lucia Lanfranconi, die an der Hochschule Luzern zu den Themen Chancengleichheit und Geschlechtergleichstellung forscht, in einem Interview mit youngCaritas. Nicht nur das Geschlecht, auch die Staatsangehörigkeit und Lebenslage verstärken das Armutsrisiko. Mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus und ohne Sprachkenntnisse verschärft sich die Situation. Viele Migrantinnen in der Schweiz werden auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung, der sozialen Integration, der politischen Mitwirkung oder der Gesundheit diskriminiert. Häufig liegt das daran, dass ausländische Zeugnisse nicht anerkannt werden und Informationen nicht zugänglich sind.

Das erste Mal in der Schule

«Häufig sind es die Frauen, die wenig Bildungschancen haben», beobachtet auch Esther Föcker. Sie sind es, die meist den familiären Pflichten nachgehen. So war es auch bei Familie Hossini. Die 52-jährige Zahra Hossini lebt seit fünf Jahren in der Schweiz. Während ihr Mann arbeiten ging und dort ein paar Brocken Deutsch lernte, kümmerte sie sich zu Hause um die vier Kinder und den Haushalt. Maryani ist die Zweitälteste. Sie spricht mittlerweile fliessend Deutsch. Für ihre Mutter war es anfangs schwierig, Deutsch zu lernen. In der Schweiz besuchte sie das erste Mal eine Schule. «Es ist ein schönes Gefühl, wenn ich etwas verstehe. Es macht mich glücklich, wenn mich die Lehrerin etwas fragt und ich antworten kann.» Im Kurs gibt es auch Frauen mit Universitätsabschluss in der Tasche. «Wir versuchen, der ganzen Spannbreite gerecht zu werden», erklärt Föcker.

Stärkung des Selbstvertrauens

Ihr bereitet es grosse Freude, ihre Schützlinge beim Start in die deutsche Sprache zu begleiten. Sie möchte, dass sich die Teilnehmerinnen willkommen fühlen. «Sie sollen spüren, dass sie dazugehören und die Kompetenz haben, Deutsch zu lernen.» Die Kurse orientieren sich an den fide-Grundprinzipien. So richten sich die Inhalte des Unterrichts nach den individuellen Bedürfnissen der Lernenden. Auch die Stärkung des Selbstvertrauens und die Wertschätzung der individuellen Biografie stehen im Fokus. Jede Frau bringt ihre eigene Geschichte mit. Oft gehören dazu auch traumatische Erlebnisse. «In Afghanistan hatte ich Angst, wenn wir morgens aus dem Haus gingen. Wir wussten nie, wer abends wieder lebend zurückkommt.» Zahra Hossini plagen oft starke Kopfschmerzen, die auch mit Medikamenten nicht besser werden. Vor lauter Schmerzen hat sie manchmal Mühe, die Deutschaufgaben daheim zu lösen. «Manchmal frage ich mich, ob sie wohl Kopfschmerzen hätte, wenn wir das Land früher verlassen hätten», erzählt die Tochter. Föcker ist beeindruckt, wie motiviert die Frauen sind, Deutsch zu lernen. Sie kommen in den Kurs, auch wenn sie oft erschöpft aussehen. Dazu gehören vor allem junge Frauen, die sich allein um ihre Kinder kümmern.

Kinderbetreuung mit sprachlicher Förderung

Deshalb bietet Caritas Zentralschweiz zeitgleich zu den Kursen eine Betreuung für Kinder an. Sie werden spielerisch in ihrer persönlichen, sozialen und sprachlichen Entwicklung gefördert. Für die meisten Kinder ist es das erste Mal, dass sie ausserhalb der Familie betreut werden. Für Isabel Rodel, Leiterin der Kinderbetreuung, ist es wichtig, dass sie den Kindern durch die spielerische Frühförderung positive Erlebnisse vermittelt. «Alles ist neu für sie. Es kann lange dauern, bis sich die Kinder eingewöhnen und Vertrauen aufbauen. Wir arbeiten behutsam und mit viel Herz», sagt Rodel. «Wir bereiten sie hier für den Kindergarten und die Kita vor, und sie erwerben die ersten Deutschkenntnisse.»

Häufig kommen Kinder von Migrationsfamilien im Vorschulalter wenig mit der deutschen Sprache in Kontakt. Bei der Einschulung sind sie sprachlich benachteiligt, dies kann ihre spätere schulische und berufliche Laufbahn beeinflussen. Wer in Armut aufwächst, hat es schwieriger, eine qualifizierte Ausbildung abzuschliessen. Es ist ein Teufelskreis, denn so kann die Armut von Generation zu Generation weitergegeben werden. Zwei Kinder von Zahra Hossini machen momentan eine Lehre als Dentalassistentinnen. Sie sind froh, dass ihre Mutter jetzt selbstständiger und selbstbewusster in den Strassen Luzerns unterwegs ist, damit sie sich auf ihre Ausbildung konzentrieren können.

* Name zum Schutz der Person geändert.