08.10.2025

Mit CaritasGo durch den Dschungel

Die Schweiz ist stolz auf ihr soziales Auffangnetz. Dennoch kommen viele Armutsgefährdete damit erst gar nicht in Berührung. Die Gründe reichen von Nichtwissen über sprachliche Barrieren bis hin zu Schamgefühl. Der Chatbot CaritasGo soll helfen.

Autorin: Marlen Stalder

Viele kennen sie – die «Heimlich-googeln-Moomente». Statt zu fragen, nutzt man Suchmaschinen, um peinliche Wissenslücken zu füllen – etwa wie man Couscous schreibt oder wie man ein Hemd bügelt, ohne dass es schlimmer aussieht als vorher. Wenn wir uns schon bei banalen Fragen nicht offenbaren wollen, ist nachvollziehbar, dass die Hemmung, jemanden um Rat zu bitten, bei finanziellen Schwierigkeiten noch viel grösser ist. 

Scham ist eine Hürde von vielen 

Laut Fabrizio Tuor, Sozial- und Schuldenberater bei Caritas Zentralschweiz, ist die Scham der Hauptgrund, warum Menschen mit finanziellen Schwierigkeiten sich oft viel zu spät professionelle Hilfe holen. Für manche sei es schwierig, sich einzugestehen, dass man aus eigener Kraft nicht mehr weiterkommt. «Oft wird dies als persönliches Scheitern wahrgenommen, obwohl meistens vor allem strukturelle Gründe dahinterstecken», erklärt Tuor. Denn im Schweizer Sozialsystem gilt: Wer Unterstützung will, muss selbst aktiv werden. In der Praxis sind die Hürden dafür jedoch hoch.

«Bevor ich google, muss ich eine konkrete Idee haben.»

Im Dickicht der Informationen hilft laut Tuor einfaches Googeln nur bedingt: «Bevor ich google, muss ich eine konkrete Idee haben, auf welche Leistung ich Anspruch habe oder was mir in meiner Situation helfen könnte. Ich muss zum Beispiel wissen, dass es Betreuungsgutscheine gibt. Die Suchmaschine führt mich vielleicht zum richtigen Hilfsangebot, aber im falschen Kanton. Lande ich auf der richtigen Website, muss ich mich selbst durch die Informationen durchkämpfen. Das erfordert ein hohes Mass an Wissen und Fähigkeiten.» Finanzielle Engpässe treten oft zu Beginn einer neuen Lebensphase auf, zum Beispiel beim Übergang von der Schule ins Erwerbsleben oder vom Single-Haushalt ins Familienleben. Von den ersten finanziellen Schwierigkeiten bis zum Gang zur Fachstelle vergehen oft Jahre – in dieser Zeit entgehen Betroffenen wichtige Sozialleistungen wie Prämienverbilligung oder Betreuungsgutscheine. Dieser «Taucher in die finanzielle Not» – wie es Tuor nennt – soll nun mit dem KI-gestützten Chatbot CaritasGo verhindert werden. 

Der Bot übernimmt die Fragen 

Der Name CaritasGo signalisiert: einfach loslegen. Nathalie Portmann, Mitgründerin der Luzerner IT-Firma poemAI, erklärt das Prinzip so: «Während bei Google oder ChatGPT Nutzer*innen Fragen stellen, soll bei CaritasGo der Bot das Gespräch führen und die ratsuchende Person durch die Konversation leiten. Ein grosser Vorteil davon ist, dass Nutzer*innen überhaupt kein thematisches Vorwissen benötigen. Sie müssen sich nicht einmal überlegen, was sie den Bot fragen sollen.»

«Nutzer*innen müssen sich nicht einmal überlegen, was sie den Bot fragen sollen.»

Portmann und ihre Firma haben CaritasGo in Zusammenarbeit mit Caritas Zentralschweiz entwickelt. In CaritasGo sieht sie den Vorteil, dass der Chatbot durch gezieltes Nachfragen nur die für die persönliche Situation relevanten Informationen liefert, ohne die Person mit zusätzlichen Details zu überfluten. «In der Regel reichen zwei bis vier Nachfragen aus, damit sich der Bot ein Bild über die Lebenslage im betreffenden Haushalt machen kann.» Danach zeigt der Chatbot, auf welche staatlichen Leistungen man Anspruch haben könnte und welche Beratungsangebote weiterhelfen. 

Das ist CaritasGo

⦁ Caritas Zentralschweiz lanciert den KI‑gestützten Chatbot CaritasGo als Pilotprojekt im Kanton Luzern.
⦁ Der Chatbot informiert Menschen mit finanziellen Sorgen schnell und mehrsprachig über staatliche und nicht staatliche Hilfsangebote.
⦁ Nutzer*innen erhalten ohne Vorwissen und rund um die Uhr gezielte, verständliche Antworten.
⦁ Der Bot kann bei einfachen Anliegen konkret weiterhelfen. Bei komplexen Fällen verweist er auf professionelle Beratungsstellen.

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Anonym und mehrsprachig 

CaritasGo fragt ausschliesslich nach Angaben, die die Identität der Person nicht preisgeben. Wichtig für den Chatbot ist zum Beispiel das Alter, ob es Kinder im Vorschulalter gibt oder ob die Person erwerbslos ist. Nicht aber der Name, das Geburtsdatum oder die Adresse. Nutzer*innen werden zu Beginn darauf hingewiesen, keine persönlichen Daten zu teilen. «Unsere Auswertungen haben gezeigt, dass die Nutzer*innen im Gespräch mit dem Chatbot tatsächlich keine sensiblen Daten preisgeben. Zudem sind die technischen Einstellungen beim Chatbot so gewählt, dass das Sprachmodell nicht mit den Gesprächen von CaritasGo trainiert werden darf», so Portmann.

Damit auch Personen ohne Deutschkenntnisse die Informationen verstehen, ist CaritasGo mehrsprachig. Der Bot erkennt automatisch die im Browser eingestellte Sprache und antwortet entsprechend – auch wenn die Originalinformationen aus offiziellen Merkblättern und Handbüchern nur auf Deutsch verfügbar sind. Bisher spricht der Chatbot zehn Sprachen, weitere sollen folgen. 

CaritasGo als Brücke ins System 

CaritasGo wird aktuell als Beta-Version im Kanton Luzern getestet. Die Erfahrungen aus dieser Testphase sollen als Grundlage für eine spätere Ausweitung auf die ganze Schweiz dienen. Zudem besteht Potenzial für eine inhaltliche Erweiterung wie Budget- oder die Schuldenberatung. Beratungsangebote wie die Sozial-und Schuldenberatung der Caritas Zentralschweiz ersetzt der Bot aber nicht. Bei komplexeren Situationen bleibt die persönliche Beratung entscheidend. 

«Eigenverantwortung wird nur zur Chance, wenn wir alle befähigen, die nötige Unterstützung auch wirklich zu finden und anzunehmen.»

Sozial- und Schuldenberater Tuor erhofft sich von CaritasGo, dass Menschen in finanziellen Engpässen in Zukunft schneller und einfacher wissen, welche Leistungen ihnen zustehen, und so vor dem Abrutschen in die Armut bewahrt werden. «Eigenverantwortung ist eine wertvolle Stärke, die Menschen antreibt, ihre Probleme selbst zu lösen. Im Schweizer Sozialsystem wird sie erwartet – doch sie wird nur zur Chance, wenn wir alle befähigen, die nötige Unterstützung auch wirklich zu finden und anzunehmen.»

 

Bildlegende: In der persönlichen Beratung hilft Fabrizio Tuor bei konkreten Alltagssorgen – etwa dabei, welche Rechnungen zuerst zu zahlen sind oder wie man auf ein Inkassoschreiben reagiert. Auf diese Fragen kennt der Chatbot CaritasGo (noch) keine Antwort.

Aktuelles Magazin: Mit Schulden leben

Dieser Artikel ist aus dem Caritas Regional Magazin 2/25. Zweimal jährlich erscheint in der Deutschschweiz das Magazin «Caritas regional». Hier lesen Sie Aktuelles und Hintergründe aus den regionalen Caritas Organisationen.

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