Drei Frauen im Einsatz für Familien

Lustig, herausfordernd, inspirierend – bei ihrer Arbeit mit Familien erleben Esther, Mahperi und Shiyana viele unterschiedliche Situationen. In einem Gespräch erzählen sie, in welchen Lebenslagen sich Familien befinden, die bei der Caritas Zentralschweiz Unterstützung erhalten.

Interview und Bilder: Marlen Stalder

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Mahperi (rechts) musste lernen, sich abzugrenzen, wenn sie die prekären Situationen von Familien miterlebt

Marlen: Shiyana, die «mitmir» - Patenschaft ist ein Angebot für Kinder aus «belasteten» Familiensituationen. Was bedeutet das genau?

Shiyana: Es sind häufig Familien mit vielen Kindern, oft auch Alleinerziehende. Zum Teil sind sie noch nicht lange in der Schweiz und kennen die Sprache nicht gut. Aber auch armutsbetroffene Familien ohne Migrationshintergrund, wo den Eltern die Zeit und Mittel fehlen, viel mit den Kindern zu unternehmen. Oft fehlt ein soziales Netzwerk. Da ist die Herausforderung, dass es nicht zur sozialen Isolation kommt.

Befinden sich die Familien bei Copilot und in den Deutschkursen in einer ähnlichen Situation?

Mahperi: Bei Copilot sind es vor allem Familien, die das Schweizer Schulsystem und die Sprache nicht gut kennen. Dieses Jahr hatte ich zum Beispiel drei Familien, die die Anmeldung für den Kindergarten verpasst haben. Sie haben die Briefe und Anmeldungsformulare schlicht nicht gut genug verstanden. Da das erste Kindergartenjahr freiwillig ist, konnten wir die Kinder auch nicht nachträglich anmelden. Sie verpassen nun dieses Jahr, das für sie so wichtig wäre, um erste Begegnungen zu machen und die Sprache zu lernen. Die Familien leiden darunter.

«Oft fehlt ein soziales Netzwerk.»

Esther: Viele Teilnehmerinnen in den Deutschkursen teilen die Sorgen um Geld oder fehlende Integration, ansonsten sind sie aber sehr divers. Einige sind nie zur Schule gegangen, lernen zum ersten Mal ein Alphabet, andere haben einen Uniabschluss. Wir haben viel Alleinerziehende oder Frauen mit vielen Kindern. Ich erinnere mich an eine Mutter von sieben Kinder. Oft sind die Frauen zuhause für Kinder und Haushalt zuständig. Sie hätten nicht die Möglichkeit, an einem Intensivkurs teilzunehmen und schätzen unsere Kurszeiten und die Kinderbetreuung. Die Frauen schätzen auch, dass sie unter sich sind.

Wie gehen die Familien in euren Angeboten mit ihrer Situation um?

Esther: Ich bin beeindruckt, wie viele ihre Situation einfach annehmen und sehr lebensfroh sind. Viele sind dankbar, dass sie an den Kursen teilnehmen können, auch wenn viele von einer Fachstelle zugewiesen werden. Zu erkennen, wie vielfältig wir Menschen sind – unabhängig von kulturellen Hintergründen – inspiriert mich dazu, Menschen offener zu begegnen.

Mahperi: Ich bin manchmal schockiert, in was für prekären Situationen die Familien leben. Doch sie selbst nehmen es gar nicht so wahr, vielleicht weil sie sich an ihre Situation gewöhnt haben oder weil sie es nicht anders kennen. Ich war zum Beispiel bei einer Familie, die von Nothilfe lebt. Die Kinder hatten keine Spielzeuge. Sie haben zwar gespielt – aber eben ohne die vielen Spielsachen, die Kinder in der Schweiz üblicherweise haben. Ich beurteilte diese Situation ganz anders als die Familie selbst. Da in der beobachtenden Rolle zu bleiben, war eine Herausforderung für mich.

Shiyana: Die Familien mit Migrationshintergrund kommen zum Teil aber aus noch schwierigeren Situationen und sind erst mal zufrieden damit, was sie hier haben. Vor der Migration in die Schweiz hätten die Kinder vielleicht gar nicht sorgenfrei spielen können – mit oder ohne Spielzeug.

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Wie ist es, mit einer Familienkonstellation zu arbeiten?

Shiyana: Es ist schon anders als in einer Einzelberatung. Man kann einiges herausspüren, wenn man die ganze Familie kennenlernt. Spannend ist zum Beispiel, ob nur der Mann spricht oder auch die Frau zu Wort kommt. So erfährt man viel über die Dynamik in der Familie.

Mahperi: Wichtig ist, dass man unterscheiden kann, wann man diese Dynamik akzeptieren muss und in welchen Situationen man Hilfe beiziehen sollte. Dafür bilden wir unsere Freiwilligen aus.

«Die Kinder hatten keine Spielzeuge.»

Shiyana: Familien haben auch ihre eigenen Rituale, da kommt es manchmal zu lustigen Situationen. Kürzlich war ich nach dem Mittagessen für ein Gespräch bei einer Familie zuhause und die Mutter wollte unbedingt, dass ich mit ihnen esse, ich war aber schon satt. Schlussendlich habe ich mich zu Kaffee und Guetzli überreden lassen. Ich glaube, es war wichtig, dass sie ihre Gastfreundschaft ausleben konnte. Im Gespräch hat sie sich danach viel wohler gefühlt.

 

Esther, du erlebst die Teilnehmerinnen der Deutschkurse nicht in ihrem privaten Umfeld, sondern «nur» im Schulzimmer. Trotzdem weisst du viel über ihre private Situation. Wie kommt das?

Esther: Einerseits kommen wir in den Pausen ins Gespräch. Die Teilnehmerinnen sind teilweise füreinander auch eine Art Familienersatz. Ältere Frauen betrachten jüngere manchmal als ihre eigenen Töchter. Auch weil die Frauen unter sich sind, reden sie eher über familiäre Themen. Solche Gespräche kommen aber auch im Unterricht auf, wenn wir zum Erlernen der Sprache über bestimmte Themen sprechen. Wir lassen das zu, müssen aber auch schauen, dass die Gespräche über private Herausforderungen nicht den Alltag des Deutschkurses bestimmen. Wir möchten hier eine Art Oase schaffen, wo die Frauen positive Zukunftsvisionen entwickeln können und nicht nur über Probleme sprechen müssen.

 

 

Shiyana, Verantwortliche «mit mir»-Patenschaften im Kanton Zug

Shiyana vermittelt freiwillige Gottis und Göttis an Familien und betreut die Patenschaften während drei Jahren. Dank der neuen Bezugsperson lernen die Kinder neue Welten kennen und gewinnen an Selbstvertrauen. Weitere Infos zum Angebot 

 

Mahperi, Verantwortliche für Elternmentoring Copilot

Mahperi vermittelt Eltern, die nicht im schweizerischen Schulsystem aufgewachsen sind,  freiwillige Copilot*innen. Diese helfen den Eltern bei Fragen rund um den Schuleintritt ihrer Kinder und ermöglichen damit gerechtere Bildungschancen. Weitere Infos zum Angebot

 

Esther, Leiterin Bildung Frauen und Kinder

Esther leitet Alphabetisierungs- und Deutschkurse, die speziell auf die Bedürfnisse von Migrantinnen zugeschnitten sind. Während den Kurszeiten können die Teilnehmerinnen Kinder, die zwischen acht Monate und sechs Jahre alt sind, im Raum nebenan betreuen lassen. Weitere Infos zum Angebot

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