29.04.2024

Unterstützung für pflegende Angehörige

Es ist für viele eine Selbstverständlichkeit: Um ihren dementen Eltern oder erkrankten Ehepartnern die Möglichkeit zu geben, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu bleiben, übernehmen Angehörige die Pflege selbst. Dies geschieht mit grossem Einsatz – und ohne finanzielle Entlohnung. Dass Angehörige ihre Familienmitglieder pflegen, ohne die Möglichkeit, dafür entschädigt zu werden, will Caritas Bern ändern.

Im Kanton Bern startet deshalb das Projekt «Pflegende Angehörige». Die Präsidentin von Caritas Bern, Ursula Muther, erzählt im Interview, was das Projekt genau umfasst und weshalb gerade Caritas die richtige Organisation dafür ist.

Es ist für viele eine Selbstverständlichkeit: Um ihren dementen Eltern oder erkrankten Ehepartnern die Möglichkeit zu geben, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu bleiben, übernehmen Angehörige die Pflege selbst. Dies geschieht mit grossem Einsatz – und ohne finanzielle Entlohnung. In der Schweiz kümmern sich etwa 600 000 Menschen um ihre Angehörigen zu Hause. Dass Angehörige ihre Familienmitglieder pflegen, ohne die Möglichkeit, dafür entschädigt zu werden, will Caritas Bern ändern. Im Kanton Bern startet deshalb das Projekt «Pflegende Angehörige». Die Präsidentin von Caritas Bern, Ursula Muther, erzählt im Interview, was das Projekt genau umfasst und weshalb gerade Caritas die richtige Organisation dafür ist.

Interview: Barbara Keller | Bilder: Conrad von Schubert, Alexandra Wey

Ursula Muther ist seit 2017 Präsidentin von Caritas Bern.

Wie funktioniert das Projekt «Pflegende Angehörige»?

Es gibt viele Angehörige, die ihre Liebsten pflegen. Das kann aufgrund von Krankheiten, Unfällen, Behinderungen oder altersbedingt nötig werden. Diese anspruchsvolle und zeitintensive Pflege geschieht ohne die Möglichkeit auf Entlohnung. Das wollen wir nun ändern. Caritas stellt pflegende Angehörige aus dem Kanton Bern zu einem Stundenlohn von 35 Franken an und zahlt auch in die Sozialversicherungen ein. Was zudem wichtig ist, die Angehörigen werden in der Grundpflege professionell begleitet.

Welche Pflegeaufgaben können durch die Angehörigen übernommen werden?

Nur die Grundpflege: also tägliche Verrichtungen wie Hilfe beim Aufstehen, Anziehen, Absitzen, Umlagern, Essengeben oder Toilettengang. Die Behandlungspflege, als alles Medizinische, wird weiterhin den Fachkräften vorbehalten sein.

Welche Pflichten haben die pflegenden Angehörigen?

Sie müssen die Grundpflege dokumentieren und die Qualität sicherstellen können. Konkret bedeutet das die Möglichkeit zu praxisbezogenen Aus- und Weiterbildungen, regelmässige Gespräche mit den ausgebildeten Fachpersonen Pflege, damit diese beurteilen können, ob es mehr professionelle Pflege benötigt oder nicht. Diese Fachpersonen, die bei Caritas angestellt sind, koordinieren die Einsätze und nehmen die Aufsichtsfunktion und Qualitätssicherung wahr.

Warum ist Caritas die richtige Organisation für dieses Projekt?

Die Frage, warum Caritas sich nun in Richtung «Mini-Spitex» entwickelt, ist berechtigt. Allerdings gibt es klare Gründe, die dafürsprechen. Unser Ziel ist nicht nur die Vergütung der Grundpflege, sondern die Schaffung eines echten Mehrwerts. Wir setzen uns dafür ein, der Einsamkeit im Alter entgegenzuwirken, indem wir Patient*innen und pflegende Angehörige gezielt begleiten. Insbesondere Letztere werden oft mit anspruchsvollen Situationen alleingelassen. Zudem engagieren wir uns für die Armutsprävention. Care-Arbeit wird hauptsächlich von Frauen übernommen, viele reduzieren deswegen ihr Arbeitspensum, was Einkommensverluste und Vorsorgelücken bedeutet und letztendlich zu Altersarmut führen kann.

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Pflegende Angehörige übernehmen die Grundpflege, also tägliche Verrichtungen wie Hilfe beim Essen.

Warum setzt Caritas Bern das Projekt «Pflegende Angehörige» in Zusammenarbeit mit Caritas Schweiz um und wie sind die Aufgaben verteilt?

Caritas Schweiz hat bereits erfolgreich ein Pilotprojekt in der Zentralschweiz durchgeführt, verfügt über die erforderlichen Spitex-Lizenzen und umfassendes Knowhow. Caritas Bern wird sich auf die Umsetzung vor Ort konzentrieren, einschliesslich der Rekrutierung und Anstellung von Pflegefachpersonal, Entschädigung pflegender Angehöriger und Sicherstellung der Servicequalität. Für die Weiterentwicklung des Projektes sind beide Organisationen gemeinsam zuständig. Das Controlling und die übergeordnete Projektkommunikation werden von Caritas Schweiz verantwortet.

Welche Herausforderungen stellen sich in der Umsetzung in Bern?

Eine bedeutende Hürde stellt die Konkurrenz durch private Akteure dar, die das Projekt als lukratives Geschäft erkennen und versuchen, einzusteigen. Wir stehen im regen Austausch mit anderen NGOs wie dem Roten Kreuz oder ProSenectute. Auch die kantonale Spitex-Organisation unterstützt die Idee, dass Caritas ein Angebot für pflegende Angehörige schafft. Unsere Organisation verfolgt keine Gewinnziele, daher steht das Wohl der Menschen für uns an erster Stelle. So können wir uns von den privaten Anbietern klar abheben.

Eine zusätzliche Schwierigkeit im Kanton Bern ist die Grossräumigkeit des Gebiets. Wie können wir das Angebot in den verschiedenen und entlegenen Regionen einführen? Das wird sicherlich eine herausfordernde Aufgabe. Ein weiterer Aspekt ist natürlich die Zweisprachigkeit im Kanton, wir müssen unser Angebot auch auf Französisch vermitteln können.

Wieso ist das Projekt gerade jetzt wichtig?

Wir sind eine alternde Gesellschaft. Die Nachfrage nach Pflegedienstleistungen wird immer mehr zunehmen und die bestehenden Institutionen sind überlastet. Wir müssen dem etwas entgegensetzen, deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt für pflegende Angehörige.

Angehörige pflegen und dafür einen Lohn erhalten
Seit der Revision des Krankenversicherungsgesetzes 2019 ist es in der Schweiz möglich, sich als pflegende Angehörige bei einer Organisation mit SpitexLizenz anstellen und bezahlen zu lassen. Pflegende Angehörige werden für Tätigkeiten der Grundpflege bezahlt, die Leistungen über die zuständige Krankenkasse abgerechnet. Caritas geht davon aus, dass mit dieser Massnahme Menschen insbesondere im Alter länger zu Hause bleiben können, somit werden längerfristig Kosten gespart. Zusätzlich wird durch fachliche Begleitung und Weiterbildung der sozialen Isolation entgegengewirkt. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.

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