14.10.2025
Unter neuer Leitung in die Zukunft
Im gemeinsamen Gespräch blicken Ursula Muther, die bisherige Präsidentin, und Suzanne Müller, ihre Nachfolgerin, zurück auf intensive Jahre, sprechen über Übergänge – und richten den Blick nach vorne auf Chancen, Herausforderungen – und ihre Vorstellungen für die Zukunft.
Text und Bilder: Barbara Keller
Der Wechsel im Präsidium von Caritas Bern markiert nicht nur das Ende eines engagierten Kapitels, sondern auch den Beginn eines neuen.
Frau Muther, wenn Sie auf Ihre Amtszeit zurückblicken: Welche Momente waren für Sie besonders prägend?
Es waren acht sehr intensive Jahre – eine Art Achterbahnfahrt. Kaum war ich im Amt, kam der kantonale Entscheid zur Neuorganisation der Asylsozialhilfe. Die Leistungsverträge mit Caritas wurden dabei nicht mehr verlängert – das war für uns ein massiver Einschnitt. Es hatte bei Caritas Bern eine Massenentlassung zur Folge, bei der rund 100 Mitarbeitende ihre Stelle verloren. Es galt, den Spagat zwischen Personalabbau und Auftragserfüllung zu schaffen, und dies mit gebührendem, grösstmöglichem Respekt gegenüber Mitarbeitenden, Flüchtlingen und Partnern. Die Organisation musste sich danach neu aufstellen mit einer überarbeiteten Strategie. 2020 konnten wir mit dem Caritas-Markt in Biel wieder einen starken Impuls setzen. Dann kam die Pandemie, die unseren Arbeitsalltag komplett auf den Kopf stellte. Die Ukrainekrise forderte uns dann erneut, aber wir waren als Organisation besser vorbereitet. Es war eine herausfordernde Zeit.
Caritas Bern musste sich in Ihrer Amtszeit mehrmals neu ausrichten. Was hat die Organisation aus diesen Umbrüchen gelernt?
Ursula Muther: Jeder Umbruch hat uns weitergebracht. Besonders deutlich wurde, wie wichtig die Betriebskultur ist – gerade in schwierigen Phasen. Auch nach der Massenentlassung haben viele ehemalige Mitarbeitende den Kontakt gehalten. Das zeigt, wie wichtig es ist, respektvoll und transparent zu kommunizieren. Ich glaube, das hat viel mit Vertrauen zu tun.
Frau Müller, was hat Sie gereizt, das Präsidium zu übernehmen?
Das Gespräch mit Frau Muther war für mich ein entscheidender Faktor. Ihre Energie war ansteckend – und gleichzeitig hat sie sehr offen auch über die Herausforderungen gesprochen. Das hat mich beeindruckt. Ich habe Caritas Bern als sehr professionelle Organisation kennengelernt, mit viel Engagement und unternehmerischer Kraft. Dass ein Hilfswerk so viel selbst erwirtschaftet, war für mich eine positive Überraschung. Das motiviert mich, hier Verantwortung zu übernehmen.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für die kommenden Jahre?
Suzanne Müller: Caritas steht heute finanziell stabil da, mit einem hohen Anteil an Erträgen aus eigenen Dienstleistungen. Wir sollten überlegen, wie wir uns noch breiter aufstellen können. Gleichzeitig bewegt sich die Welt schnell – wir müssen Chancen nutzen und neue Felder erschliessen. Ich sehe zum Beispiel viel Potenzial im Angebot der pflegenden Angehörigen oder in einer verstärkten Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Auch die regionale Verankerung bleibt Thema. Vielleicht braucht es künftig auch Märkte in ländlicheren Regionen oder eine mobile Alternative.
Ursula Muther: Auch die Freiwilligen werden sicherlich ein Thema bleiben. Wir hatten früher über 400 Freiwillige, heute sind es noch rund 100. Das zeigt: Es gibt Interesse und Potenzial, aber es ist nicht immer einfach, passende Einsatzmöglichkeiten zu finden. Besonders bei «carla by Caritas» ist die Nachfrage gross, in anderen Bereichen braucht es neue Ansätze, um Freiwillige zu integrieren. Caritas-Freiwillige sind oft sehr engagiert und langfristig dabei – das ist ein grosser Wert.
Solidarität mit armutsbetroffenen Menschen und Offenheit allen Menschen gegenüber.
Frau Müller, Sie haben internationale Erfahrung – wie möchten Sie diese einbringen?
Ich habe in Bangladesch mit Unternehmen und Gemeinden zusammengearbeitet, um Migrant*innen besser zu integrieren. Solche Partnerschaften funktionieren auch auf lokaler Ebene. Es geht darum, Netzwerke zu pflegen, Menschen zusammenzubringen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Ich verstehe mich als Brückenbauerin – und ich glaube, dass dieser Ansatz auch bei Caritas Bern passt.
Welche Werte verbinden Sie mit Caritas Bern?
Ursula Muther: Solidarität mit armutsbetroffenen Menschen und Offenheit allen Menschen gegenüber.
Suzanne Müller: Da kann ich mich anschliessen und zusätzlich möchte ich «Integration» hinzufügen. Caritas Bern lebt diese Werte auf beeindruckende Weise. «Caritas Bern setzt sich für armutsbetroffene Menschen ein – unabhängig von Herkunft – und verbessert ihre Lebensqualität durch soziale und wirtschaftliche Teilhabe. Sie schafft nahe Begegnungsorte, arbeitet professionell und wirkt als verlässliche Partnerin in Allianzen.» Diese Mission ist kein Papiertiger – sie wird im Alltag umgesetzt. Auch die Bereitschaft, sich laufend neu auszurichten, ist ein Zeichen von Stärke.
Ich möchte dazu beitragen, dass Caritas Bern ihre Werte lebt – glaubwürdig, solidarisch und zukunftsgerichtet.
Gab es Projekte, die Ihnen besonders am Herzen lagen?
Ursula Muther: Absolut. Der Secondhand-Laden carla zum Beispiel: Der Laden ist nicht einfach ein Angebot für armutsbetroffene Menschen, sondern offen für alle – ein Begegnungsort und eine Art Visitenkarte von Caritas Bern. Auch die KulturLegi, die enorm an Bedeutung gewonnen hat, ist ein Herzensprojekt. Dank ihr können mehr Menschen, insbesondere Kinder, am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Dies hat viel mit sozialem Zusammenhalt zu tun. Solche Entwicklungen zeigen, wie direkt unsere Arbeit wirkt.
Mit welchen Themen möchten Sie starten?
Suzanne Müller: Ich möchte mir zuerst Zeit nehmen, das Haus und die Menschen kennenzulernen. Zuhören, beobachten, verstehen. Ab 2027 soll es eine neue Strategie geben, dies wird ein wichtiger Meilenstein – dafür braucht es eine solide Basis. Auch die Zusammenarbeit mit Partnern wie den Kirchen möchte ich vertiefen.
Was möchten Sie Ihrer Nachfolgerin mit auf den Weg geben?
Ursula Muther: Alles Gute und viel Freude an dieser Aufgabe. Sie übernimmt eine gut aufgestellte Organisation – mit einem eingespielten Vorstand, einer professionellen Geschäftsleitung, soliden Finanzen und einem modernen Leitbild. Gleichzeitig gibt es Raum für eigene Spuren. Ich wünsche mir, dass sie ihren eigenen Stil einbringen kann – und Caritas Bern weiterentwickelt.
Frau Müller, in einem Satz: Was möchten Sie mit Ihrem Präsidium bewirken?
Ich möchte dazu beitragen, dass Caritas Bern ihre Werte lebt – glaubwürdig, solidarisch und zukunftsgerichtet.
Frau Muther, zum Schluss: Was machen Sie mit Ihrer neu gewonnenen Freizeit?
Ich kann dann reisen, wenn keine Ferienzeit ist, das ist super! Ich gebe nach und nach meine ehrenamtlichen Mandate ab, bleibe aber wohl weiterhin lokal in der Gemeinde engagiert. Und ich freue mich auf mehr Zeit für den Garten, fürs Stricken, vielleicht für einen Nähkurs. Einfach das Leben etwas entschleunigen.
Vielen Dank für das Gespräch. Das Engagement und die Energie der beiden Frauen sind spürbar – für die Menschen in Not und für Caritas Bern.