
23.04.2025
Der Mann, der Brücken liebt und baut
Der Caritas-Markt Thun feiert 2025 sein 20-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass blicken wir auf die Lebensgeschichte von Mili Sunje, einem langjährigen und besonders engagierten Mitarbeitenden, der den Markt fast von Anfang an begleitet hat. Für Mili ist der Caritas-Markt Thun längst mehr als nur ein Arbeitsplatz – er ist zu einer zweiten Heimat geworden. Hier kann er die Werte leben, die ihn in seinem Leben begleitet haben:
Integration, Unterstützung und das Schaffen von Chancen für andere.
Text: Barbara Keller Bilder: David Fürst
Mili Sunje kam im Jahr 1993 als Flüchtling aus Bosnien-Herzegowina in die Schweiz. In der Zeit in Bosnien nannte er die Stadt Mostar seine Heimat. Der Name Mostar leitet sich von dem bosnischen Wort «Most» ab, was «Brücke» bedeutet, und bezieht sich auf die berühmte alte Brücke von Mostar über dem Fluss Neretva, die 1566 erbaut wurde. Sie war nicht nur ein beeindruckendes Wahrzeichen, sondern auch ein Symbol des Zusammenlebens der verschiedenen Kulturen in der Region.
Auch wenn er die Stadt liebte, musste der damals 33-Jährige zusammen mit seiner Frau und ihrem kleinen Sohn vor dem Leid und der Zerstörung in der alten Heimat flüchten und begann ein neues Leben in der Schweiz. Zunächst landete die Familie in Chiasso. Von dort aus wurde sie in verschiedenen Asylzentren untergebracht, bis sie schliesslich in Thun eine Niederlassungsbewiligung erhalten und eine neue Heimat gefunden hat.
Obwohl er als diplomierter Ökonom und seine Frau als Pharmazeutin in Mostar einen hohen Lebensstandard genossen hatten, fand Mili sich in der Schweiz mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Die Sprache, die kulturellen Unterschiede und die Anerkennung seiner Qualifikationen stellten für ihn grosse Herausforderungen dar. Seine Frau konnte nie wieder in ihrem studierten Beruf arbeiten. Dennoch gab die junge Familie nicht auf. Als früherer Basketballspieler spielte er in seiner neuen Heimat in einer Volleyballmannschaft und einer Korbballgruppe mit und war später auch als Trainer aktiv. Hier fand er rasch Freunde.
Mili erkannte schnell, dass die Integration in der Schweiz für viele nicht einfach war. Er wollte mithelfen, dies zu ändern, und unterstützte nach einem Lehrgang für interkulturelle Verständigung die Stadt Thun auf Anfrage bei der Verbesserung der Integration von Ausländer*innen und erarbeitete mit ihnen ein neues Integrationsleitbild. Mit der Zeit und nach unzähligen befristeten Anstellungen fand Mili einen Platz, an dem er etwas bewirken konnte: beim Caritas-Markt Thun.
«Jeder, den du triffst, kämpft einen Kampf, von dem du nichts weisst. Sei immer freundlich.»
Milis Engagement für den Caritas-Markt Thun
Am 5. März 2005 wurde an der Seestrasse der Caritas-Markt Thun eröffnet. Das Bedürfnis nach erschwinglichen Lebensmitteln war gross. Mili Sunje leistete bereits zwei Jahre nach der Eröffnung Freiwilligeneinsätze im Markt. 2008 kam die damalige Ladenleiterin Brigitte Pina durch massive Umsatzsteigerungen an ihre Grenzen und konnte mit Mili Sunje einen kompetenten Stellvertreter einstellen, der sie entlasten konnte. Mili unterstützte den Markt sowohl organisatorisch als auch mit seiner langjährigen Lebenserfahrung. In den Jahren, die folgten, arbeitete er stets eng mit den Ladenleiter*innen zusammen und half dabei, den Markt durch herausfordernde Zeiten zu navigieren. Der Caritas-Markt, ein Ort, an dem bedürftige Menschen zu erschwinglichen Preisen einkaufen können, hat für Mili immer mehr als nur eine wirtschaftliche Funktion gehabt. Der Markt ist auch ein Ort der Begegnung und der Integration. Mili Sunje ist ein Mann der Brücken – nicht nur im übertragenen Sinn, sondern auch im direkten. Die Brücke, die Mostar und Thun, Bosnien und die Schweiz miteinander verband, steht für Mili für das, was er selbst tat: verbinden, integrieren, Verständnis schaffen. Der Caritas-Markt bietet für viele Menschen einen Weg in den ersten Arbeitsmarkt, in die Gesellschaft, in ein neues Leben. Mili setzte sich leidenschaftlich dafür ein, dass auch Menschen, die es schwer hatten, sich in der Schweiz zurechtzufinden, die Chance erhielten, sich zu integrieren und ihre Potenziale zu entfalten.

In seinen 18 Jahren im Caritas-Markt Thun arbeitete Mili mit rund 300 bis 400 Mitarbeitenden zusammen.
Sein Engagement ging weit über die klassischen Aufgaben eines stellvertretenden Marktleiters hinaus. Mili unterstützte in seiner Zeit nicht nur drei Marktleitende, sondern war auch Mentor für viele Mitarbeitende. Mit seiner empathischen und geduldigen Art half er unzähligen Freiwilligen und Mitarbeitenden, sich im Arbeitsmarkt zu integrieren. In den 18 Jahren arbeitete er mit rund 300 bis 400 verschiedenen Mitarbeitenden, darunter Zivildienstleistende, Freiwillige und Arbeitsintegrationsteilnehmende, zusammen, teils Menschen, die eine schwere Vergangenheit hinter sich hatten. «Jeder, den du triffst, kämpft einen Kampf, von dem du nichts weisst. Sei immer freundlich», lautete sein Motto, das er sowohl den Kund*innen als auch den Mitarbeitenden vermittelte. Natürlich brachte die hohe Fluktuation im Team auch Schwierigkeiten mit sich. Es bedeutete, immer wieder neu auf Menschen zuzugehen und neue Beziehungen aufbauen zu müssen. Doch Mili wurde es nie leid, auf neue Menschen einzugehen.
Er ist bei den Kunden des Caritas-Markts zu einer festen Grösse geworden. Viele empfanden ihn als einen Freund, der zuhören konnte und stets ein offenes Ohr hatte. Mili wird von seinen Kolleg*innen und seiner Kundschaft gleichermassen geschätzt, und es war nicht selten, dass er sich mit ehemaligen Mitarbeitenden auf einen Kaffee traf, um sich auszutauschen und die gemeinsame Zeit zu reflektieren. Es erfüllte ihn mit besonderer Freude, als er einen ehemaligen Teilnehmer des Arbeitsintegrationsprogramms im Caritas-Markt unerwartet bei Migros an der Kasse antraf. Der Mann hat inzwischen eine Festanstellung im Detailhandel erhalten.
Milis Abschied vom Caritas-Markt
Doch wie jeder Lebensabschnitt neigt sich auch Milis Zeit beim Caritas-Markt dem Ende zu. Mit seiner bevorstehenden Pensionierung in diesem Jahr geht für ihn ein bedeutender Abschnitt zu Ende, den er jedoch mit einer Mischung aus Stolz und Wehmut betrachtet. Der Caritas-Markt, der für ihn wie eine zweite Familie war, bleibt auch nach seiner Pensionierung ein wichtiger Teil seiner Geschichte. Er vertraut darauf, dass der Markt weiterhin für die Kundschaft da sein wird und sich auch in Zukunft gut entwickeln kann.
Mili Sunje sieht sich heute als jemanden, der zwischen zwei Kulturen lebt – zwischen Mostar und Thun, zwischen der Neretva und der Aare. Für ihn ist der Fluss Neretva ein Symbol für seinen Weg, der nie klar vorgezeichnet war, sondern immer wieder von den Strömungen des Lebens beeinflusst wurde. Zukunftspläne hat der baldige Pensionär daher noch nicht. «Meine Pläne sind vor über 20 Jahren in den Fluss Neretva gefallen, seit da plane ich nur noch bis morgen.» Und wer weiss – vielleicht lässt er sich morgen einfach wieder vom nächsten Projekt treiben, so wie er es immer gemacht hat: mit einem Lächeln und einem offenen Herzen.