
31.10.2024
Interaktiv Armut verstehen – Caritas-Stadtrundgänge für Jugendliche
Bericht: Wie Caritas mit interaktiven Stadtrundgängen unter dem Titel «Voll Unterschti!» für das Thema Armut sensibilisierte.
Interaktiv Armut verstehen
Junge Menschen für das Thema Armut sensibilisieren – unter dem Titel «Voll Unterschti!» haben Mitarbeitende von Caritas Aargau zusammen mit Laienschauspieler*innen spezielle Stadtrundgänge für Jugendliche und junge Erwachsene angeboten.
«Schaut euch mal hier um! Wer von den Leuten, die ihr seht, ist vielleicht von Armut betroffen?» Eine Gruppe Jugendlicher, versammelt auf einem Platz in Aarau, wirft verstohlen Blicke um sich. Wer von den Vorbeigehenden könnte den Vorstellungen von «Armsein» entsprechen? Zusammen mit ihrer Lehrerin und Sozialarbeiterin Deborah Sacheli von Caritas Aargau steht die 16-köpfige Schulklasse auf dem Platz vor der Stadtbibliothek in Aarau. Die Aufgabe fällt den Jugendlichen nicht leicht, denn tatsächlich ist Armut in der Schweiz nicht so offensichtlich wie andernorts. Heute, bei «Voll Unterschti!», steht genau dieses Thema auf dem Programm.
«Stellt euch jetzt in zwei Gruppen auf. Ich zeige euch, wie viele Menschen bei uns von Armut betroffen sind oder nur knapp über dem Existenzminimum leben. Das ist mehr als jeder Zehnte.» Caritas-Sozialarbeiterin Deborah Sacheli veranschaulicht die Zahlen zur Armut in der Schweiz und bezieht die Jugendlichen dabei mit ein.
Doch was heisst es überhaupt, in der Schweiz arm zu sein? Ein Dach über dem Kopf und Essen hat doch hier jeder, denken viele zunächst. Es sind Fragen, die im Verlauf des Rundgangs geklärt und für die Jugendlichen nachvollziehbar werden. Dies geschieht durch thematische Inputs durch die Sozialarbeiterin und nicht zuletzt die Begegnung mit den zwei Hauptfiguren des interaktiven Spiels. Es sind dies der introvertierte Amar, 18 Jahre, F-Ausländer, der mit seiner Familie in einer kantonalen Unterkunft lebt, und die energische Elin, 19 Jahre alt, Schweizerin, die unter familiären Problemen leidet.
Zuerst lernt die Gruppe Amar kennen. Er liegt auf einer Bank und schläft, bis die Sozialarbeiterin beschliesst, ihn zu wecken. Er wird langsam wach, wirkt lustlos und erschöpft. Doch warum schläft er nicht daheim? Zögerlich entwickelt sich ein Gespräch mit Amar. Wie sieht seine Wohnsituation aus? Amar erzählt von der Unterkunft, die er mit seiner Familie und den Nachbarn bewohnt. Es ist eng und laut. Um das zu zeigen, wird die Situation nachgespielt. Eine Plane markiert den Grundriss der Unterkunft, und die Jugendlichen haben die Aufgabe, die Familienmitglieder darzustellen. Ein lärmender Tumult entsteht. So wohnt Amar.
Glaubst du, du könntest bei mir daheim in Ruhe pennen??!
Amar ist eine Hauptfigur bei «Voll Unterschti!»
Die Schülerinnen und Schüler erfahren immer mehr über die Lebenssituation der Hauptfiguren und helfen ihnen bei ihren Problemen. Amar zum Beispiel muss heute noch einkaufen gehen. Auf einem Einkaufszettel stehen etliche Dinge, die er für insgesamt neun Franken besorgen muss. Auch ein Geschenk für seinen Bruder soll dabei sein. Keine leichte Aufgabe – die Gruppe soll mitüberlegen und helfen. Gemeinsam geht es in den Supermarkt, doch es dauert länger als es die meisten gewohnt sind. Einkaufen mit knappem Budget – auch dies ist eine neue Erfahrung.
Interaktiv Armut verstehen
Mit «Voll Unterschti!» hat Caritas Aargau zusammen mit den Theaterpädagoginnen Anouk Gyssler und Eva Welter ein Format entwickelt, das junge Menschen für das Thema Armut sensibilisiert. Das Motto «Interaktiv Armut verstehen» wird dabei voll umgesetzt. Die Jugendlichen können selbst mitmachen und mitentscheiden. Da der Parcours im öffentlichen Raum stattfindet, ist das Erlebnis für die Teilnehmenden besonders real und spontan.
Dies alles kommt bei den Jugendlichen gut an. Sie sind aufmerksam dabei und zunächst gar nicht so sicher, was echt und was gespielt ist. «Sind das wirklich arme Leute oder sind das Schauspieler?», wird die Sozialarbeiterin unterwegs gefragt. Auch die Herausforderungen für Menschen mit wenig Geld werden für die Jugendlichen deutlich. «Das Einkaufen war spannend, aber auch ein bisschen anstrengend», erzählen sie im Rückblick. «Voll Unterschti! » – ein herausforderndes Thema, lebensnah und spannend inszeniert.
Voll Unterschti! Interaktiv Armut verstehen: Caritas Aargau und die Kirchlichen Regionalen Sozialdienste bieten neu Stadtrundgänge speziell für Jugendliche und junge Erwachsene an. Mit dem neuen Format sollen junge Menschen für das Thema Armut sensibilisiert werden.
Ich hätte nie gedacht, dass Einkaufen mit wenig Geld so viel Zeit braucht, weil man ja nicht einfach so einkaufen kann, sondern ausrechnen muss, ob es reicht.
Kommentar eines Jugendlichen nach dem Rundgang
Text und Foto: Nathalie Philipp
aus: Magazin «Nachbarn» 2020/1, aktualisiert 2024
«Voll Unterschti!»-Rundgänge 2020

«Voll Unterschti!» richtete sich an Gruppen von 10 – 25 Jugendlichen / jungen Erwachsenen im Alter von 16 – 24 Jahren. Die Rundgänge konnten an verschiedene Ortschaften angepasst werden. Als Vorbereitung wurde den Gruppenleitenden Material zur Verfügung gestellt.
Kontakt: Kirchliche Regionale Sozialdienste im Aargau, Annick Grand, ag@caritas-aargau.ch