Mieterinnen queer

Jetzt steigen die Mieten – was heisst das für die Menschen?

Die Mieten im Kanton Bern steigen stetig an: in den letzten 20 Jahren um rund 30 Prozent. Der aktuelle Wohnungsmangel und die explodierenden Nebenkosten verschärfen das Problem zusätzlich. Wir haben mit Edith Siegenthaler, Präsidentin des Mieterinnen- und Mieterverbands Bern, gesprochen, um herauszufinden, was das für die Menschen bedeutet und wie man sich dagegen wehren kann.

Die steigenden Nebenkostenpreise und die Erhöhung des Referenzzinssatzes wirken sich auch auf die Wohnkosten aus. Wie sieht die Situation für Mieter*innen im Kanton Bern aus?
Es ist eine sehr schwierige Situation. Viele Faktoren bringen die Leute in Bedrängnis: generell die steigenden Preise, die höheren Mieten, aber auch die steigenden Nebenkosten. Viele befürchten, dass auf Ende der Abrechnungsperiode die erhöhten Energiepreise stark zu Buche schlagen werden; denn diese werden meistens als Anzahlung vorab bezahlt und einmal im Jahr wird abgerechnet, ob genügend oder zu viel angezahlt wurde. Nicht alle werden es sich leisten können, innerhalb eines Monats den fehlenden Betrag nachzubezahlen, was ein Kündigungsgrund sein kann. Der Mieterinnen- und Mieterverband hatte schon im Herbst Kontakt mit dem Hauseigentümerverband, mit der Bitte, dass die Nebenkosten wenn möglich frühzeitig erhöht werden, damit nicht alles auf einmal kommt. Gerade für EL-Beziehende und Sozialhilfebeziehende ist das wichtig, da die Anzahlung der Nebenkosten als Teil der Miete angerechnet wird, Nachzahlungen aber nicht.

Wie brenzlig wird die Situation für bereits Armutsbetroffene oder auch Armutsgefährdete?
Das ist sicher die gefährdetste Gruppe. Für jene, die knapp über der Armutsgrenze sind, ist die Situation am schwierigsten. Die Wohnkosten machen bei vielen über einen Drittel des Haushaltsbudgets aus und sind somit der grösste Ausgabeposten. Dazu kommt die allgemeine Teuerung. Uns ist es ein Anliegen, dass sich die Menschen nicht bald wie in Grossbritannien die Frage stellen müssen, ob sie heizen oder essen wollen.

Was kann man tun, wenn jetzt eine Mietzinserhöhung angekündigt wird?
Wenn die Mieter*innen vom Vermieter die Ankündigung einer Mietzinserhöhung erhalten, empfehlen wir zu prüfen, ob die Berechnung stimmt. Dazu gibt es einen Mietzinsrechner auf der Website des Mieterinnen- und Mieterverbands. Dort kann man die neue Miete eingeben und erhält eine erste Einschätzung, ob die Mietzinserhöhung gerechtfertigt ist. Wenn nicht, kann die Mietzinserhöhung auf der Schlichtungsstelle überprüft werden. Das heisst, es muss bei der zuständigen Schlichtungsstelle ein Gesuch eingereicht werden. Das ist formell sehr niederschwellig. Man muss lediglich einen Brief an die Schlichtungsstelle schreiben. Wir haben dazu einfache Vorlagen. Wichtig: Die Anfechtung muss innert 30 Tagen passieren. Wenn die Frist von 30 Tagen ungenutzt verstrichen ist, gibt es nichts mehr an der Miete zu rütteln. Sie gilt als akzeptiert. Auch wenn die Erhöhung missbräuchlich ist und auch wenn frühere Senkungen nicht weitergegeben wurden. Deshalb lohnt es sich, die Mietzinserhöhung sofort genau anzuschauen und sich rasch dagegen zu wehren.

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Edith Siegenthaler ist seit 2021 Präsidentin des Mieterinnen- und Mieterverbands Bern und widmet sich Fragen des Mieter*innen-Schutzes.
«Uns ist es ein Anliegen, dass sich die Menschen nicht bald wie in Grossbritannien die Frage stellen müssen, ob sie heizen oder essen wollen.»

Gerade Familien haben es schwer. Findet eine Familie mit zwei Kindern und einem knappen Budget noch eine angemessene und bezahlbare Wohnung? Familienwohnungen sind teuer, denn es gilt: Je grösser desto teurer und eine Familie braucht in der Regel eine grössere Wohnung als eine Einzelperson oder ein Paar. Aber schon bei 4-Zimmer-Wohnungen sind wir in der Stadt Bern schnell bei einem stattlichen Preis, den sich nicht alle leisten können. Wenn eine Familie aufgrund der steigenden Wohnungspreise gar gezwungen wird umzuziehen, kann es sein, dass soziale Netzwerke wegfallen und plötzlich zum Beispiel die Nachbarin, die bisher über den Mittag zu den Kindern schaute, nicht mehr da ist. Zudem kann es für die Kinder eine gewichtige Umstellung sein, wenn sie die Schule wechseln müssen und ihre Freund*innen aus der Nachbarschaft verlieren.

Hat der Mieterinnen- und Mieterverband konkrete Forderungen an die Politik?
Wir haben eine kantonale Initiative lanciert, die «Miet-Initiative». Wir fordern mit der Miet-Initiative die Einführung von transparenten
Vormieten im Kanton Bern. Mit transparenten Vormieten müssen Vermieter*innen beim Wechsel der Mieterschaft die vorherige Miete offenlegen. Heute werden die Mieten bei einem Mieterwechsel oft erhöht. Mit der Miet-Initiative erkennen Mieter*innen künftig übertriebene Mietzinserhöhungen einfacher und können diese von der Schlichtungsstelle überprüfen lassen. In anderen Kantonen gibt es dieses Instrument bereits und es funktioniert. Ein weiteres bewährtes Modell sind die Familienmietzinszuschläge. In Basel-Stadt erhalten Familien mit tieferen Einkommen einen Familienmietzinszuschlag. Das möchten wir auch im Kanton Bern einführen. Der Familienmietzinszuschlag ermöglicht es vielen Familien, auch bei steigenden Mietpreisen in ihrem Quartier zu bleiben, und fördert so unter anderem die Durchmischung in einem Quartier. Es ist ein gutes Instrument, das gezielt jene unterstützt, die Mühe haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Dann fordern wir, dass der Kanton Bern selber aktiv wird und für bezahlbaren Wohnraum sorgt. Aktuell gibt es keine gesetzliche Grundlage mehr dafür, obwohl der Kanton in der Verfassung dazu verpflichtet ist. Deshalb habe ich zusammen mit weiteren Grossrätinnen und Grossräten einen Vorstoss eingereicht, damit der Kanton den gemeinnützigen Wohnraum unterstützt und fördert. So könnte der Bau der dringend benötigten bezahlbaren Wohnungen forciert werden.